WELTEN-NEBEL
begegnen? Und wenn ja, zu welchem Zweck?
Sie konnte nicht eine einzige der vielen Fragen beantworten, daher beschloss sie, vorerst abzuwarten. Nun, da sie wieder vollen Zugang zu Btols Geist hatte, würde es ihr möglich sein, seine Schritte zu beobachten und darauf zu reagieren. Morgen würde sie die Aufzeichnungen in der Höhle durchsuchen. Vielleicht fand sie irgendetwas, was ihr weiterhalf.
Jahr 3637 Mond 5 Tag 30
Ebene der Rogmündung, Martul
Seit er es zugelassen hatte, war die fremde Präsenz ein regelmäßiger Begleiter. Er konnte sie deutlich spüren, doch sonst geschah nichts. Weder empfing er irgendwelche Nachrichten noch verspürte er einen Sog. Erst war er enttäuscht gewesen, hatte versucht, einfach in seinen Alltag zurückzukehren, doch die Unzufriedenheit hatte angefangen, an ihm zu nagen, und so hatte er beschlossen, nicht länger auf Antworten von außen zu warten. Er würde aufbrechen, Martul kennenlernen und vielleicht dort seinen Weg finden.
Von diesem Entschluss bis zu seinem Aufbruch waren nur wenige Tage vergangen, nur so lange, wie er benötigte, um ein kleines Reisegepäck zusammenzustellen und sich von den Menschen zu verabschieden, die ihn so freundlich aufgenommen hatten und fast so etwas wie Freunde geworden waren. In der kurzen Zeit war er ihnen näher gekommen als jedem anderen Menschen in seinem Leben, abgesehen von seinen Eltern. Es lag wohl daran, dass er hier kein Prinz war, sondern ein vollkommen mittelloser junger Mann, der seines Wesens und seiner Arbeit wegen geschätzt wurde und nicht aufgrund seiner Stellung.
Als er seine Schritte dann aus dem Dorf lenkte, wusste er zunächst nicht, wohin er sich nun wenden sollte. Nach kurzem Zögern entschied er, dem Lauf des Rog zu folgen. Da er ohnehin noch kein Ziel hatte, war dies so gut wie jeder andere Weg. Auch wusste er, dass die Quellflüsse in einem großen Gebirge entsprangen. Noch nie in seinem Leben war er in den Bergen gewesen, sodass das Gebirge ihm ein lohnendes Ziel erschien.
Jahr 3637 Mond 6 Tag 30
Hort der Bewahrerin, Martul
Fast täglich hatte sie Kontakt zu Btols Geist hergestellt, seit die Barriere verschwunden war. Manchmal dauerte die Verbindung nur einige Augenblicke, doch häufig konnte sie genug sehen, um sich eine Vorstellung von Btols Aufenthaltsort zu machen. Er hatte das Dorf verlassen, in dem er sich anscheinend längere Zeit aufgehalten hatte. Deutlich hatte sie gespürt, dass es seine innere Unruhe gewesen war, die ihn zu diesem Schritt getrieben hatte. Seit einem Mond wanderte er jetzt schon durch Martul. Immer wieder hatte sie einen Blick auf einen großen Fluss erhaschen können, den sie für den Rog hielt. Wenn dies richtig war und er dem Fluss folgte, so hielt er direkt auf die Berge zu. War er auf dem Weg zu ihr? Vielleicht war es ihre Präsenz in seinem Geist, die ihn dazu brachte. Immer deutlicher zeigte sich, wie bewusst er sich ihrer Gegenwart war. Wenn ihr Geist den seinen berührte, spürte sie bisweilen ein kurzes Aufflackern des Erkennens. Auch trat des Öfteren ein fragender Unterton in seine Gedanken. Sie wusste nicht so ganz, was sie davon halten sollte. Der Zugang zu seinen Gedanken war zu bruchstückhaft, um zu erfassen, was er von ihr erwartete. Ein oder zwei Mal hatte sie versucht, mit ihm zu sprechen, ihm zu sagen, wer sie war, doch er zeigte keine Reaktion. Es funktionierte offenbar nicht. Sie war in ihrer Rolle als stiller Beobachterin gefangen.
Jahr 3637 Mond 7 Tag 2
Tausend-Bäche-Dorf, Martul
Diese Nacht würde er wieder einmal in einem richtigen Bett verbringen, nur drei Mal war er auf seinem Weg den Rog entlang auf eine Siedlung getroffen. Daher hatte er die meisten Nächte unter freiem Himmel verbracht. Wann immer er jedoch auf Menschen getroffen war, so hatten sie bereitwillig Obdach und Nahrung mit ihm geteilt. Immer wieder war er erstaunt darüber, wie großzügig die Bewohner dieses Landes waren, auch vollkommen Fremden gegenüber. Möglicherweise lag es daran, dass ihnen das Konzept von Geld fremd war. Auch als er an diesem Nachmittag in das Dorf gekommen war, hatte es innerhalb kürzester Zeit eine Herberge für die Nacht gefunden. Im Austausch für die Gastfreundschaft unterhielt Btol die Familie am Abend mit Geschichten über seine Reise. Auf die Frage, wohin er als Nächstes gehen würde, antwortete er: „In die Berge.“
„ In die Berge? Aber dort gibt es keine Siedlungen. Was willst du dort?“
„ Ich war noch nie in den Bergen.“ Er
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