WELTEN-NEBEL
sähe sie es zum ersten Mal. Sorgfältig studierte sie jede Linie, suchte nach Hinweisen auf sein Befinden, seine Gefühle. Er wirkte müde, hatte wohl die ganze Nacht nicht geschlafen. Doch seine Augen, silbergrau mit goldenen Einsprengseln, versprühten die gleiche Lebendigkeit wie immer. Und noch etwas lag in seinem Blick, der auf ihr ruhte. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt noch irgendwelche Zweifel an seiner Liebe gehabt, sie wären in diesem Moment geschwunden. Sie ging einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen. Sie stand so dicht vor ihm, dass sie seinen Atem in ihrem Haar spüren konnte. Sie blickte auf und sagte: „Ich liebe dich auch.“
Ihre Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern, ein Hauch nur und doch das Schönste, was er je in seinem Leben vernommen hatte. Alle Zweifel, alles Trübsal der vergangenen Nacht fielen von ihm ab. Er konnte nicht anders, überglücklich zog er sie in seine Arme, drückte sie fest an sich und barg sein Gesicht in ihren Haaren.
Es war wohl die Überraschung, die ihren Körper zunächst steif werden ließ. Doch binnen eines Wimpernschlages entspannte sie sich, gab sich ganz in seine Umarmung. Wie wundervoll sich ihr Körper anfühlte.
Vor Freude wusste er kaum, ob er lachen oder weinen sollte. Sie liebte ihn. Sie würde ihn heiraten. Er lockerte seine Umarmung, beugte sich zu ihr hinab und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Trotz seiner unangemessenen Kühnheit ließ sie ihn gewähren. Als er schließlich ihre Lippen kostete, erwiderte sie den Kuss, zaghaft erst, doch bald schon forscher.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, waren sie beide außer Atem. Das Strahlen, das nicht nur von ihrem Gesicht, sondern vom ganzen Körper auszugehen schien, zeigte deutlich, wie glücklich sie war.
Die Magie des Augenblicks wurde durch Schritte auf dem Flur gestört. Die Tür stand noch halb offen und er beeilte sich, sie ganz zu schließen. Dieser Moment sollte nur ihnen beiden gehören. Wenn er dereinst seinen letzten Atemzug tat, würde er sich an diesen Augenblick erinnern.
Sie lauschte den Schritten nach, wagte kaum zu atmen. Was, wenn Atella oder Tew sie hier erwischen würden? Die Angst davor, ertappt zu werden, hatte ihre Gedanken innerhalb eines Herzschlages wieder vollkommen klar werden lassen. Dabei hätte sie sich gerne weiter Rihnalls Küssen hingegeben.
Andererseits taten sie ja eigentlich nichts Verbotenes, schließlich waren sie ja verlobt. Niemand konnte etwas gegen ein paar harmlose Küsse haben. Sie warf einen Blick auf die Tür, ob diese auch wirklich verschlossen war, dann nahm sie Rihnalls Gesicht in ihre Hände und zog es zu sich hinab. Da sie keinen Protest vernahm, küsste sie ihn. Sie legte all ihre Liebe in diesen Kuss. Es war wohl der einzige Weg, die Größe ihrer Gefühle angemessen zum Ausdruck zu bringen, Worte vermochten es nicht. Sie hoffte, das Leben mit Rihnall würde noch viele Gelegenheiten bereithalten, in denen sie ihrer Liebe so Ausdruck verleihen konnte. Wenn es nach ihr ginge, würde sie ihn sofort heiraten. Sie konnte es kaum erwarten, seine Frau zu werden.
Wenn Tew oder Atella etwas von dem Stimmungswechsel bemerkt hatten, dann waren sie rücksichtsvoll genug, es nicht zu erwähnen. Dafür war Süylin ihnen dankbar. Dies alles war noch zu neu, ihre Gefühle noch zu verwirrend, um mit jemandem darüber zu sprechen. Daher begrüßte sie es, dass sich die beiden verhielten, als sei nichts geschehen. Selbst die bevorstehende Hochzeit erwähnten sie mit keinem Wort.
Seit ihrer Rückkehr nach Bellan waren inzwischen fünf Tage verstrichen, alles ging seinen gewohnten Gang und sie hatte sogar ihre Arbeit in der Werkstatt wieder aufgenommen. Einzig die Treffen mit Rihnall waren neu für sie. Wann immer sie sich ungesehen davonschleichen konnte, sucht sie ihn auf. Oft saßen sie nur schweigend beieinander, tauschten Küsse und hielten sich an den Händen. Worte schienen überflüssig. An diesem Abend aber bat Rihnall sie um ein Gespräch. Er hatte recht, es gab noch einiges zu klären.
„ Es gibt etwas, dass du wissen solltest, bevor du wirklich meine Frau wirst. Ich hoffe, du kannst mir die Sünden meiner Vergangenheit verzeihen.“
Das ernste Gesicht, das er machte, ängstigte sie. Was er ihr wohl beichten wollte? Er fühlte sich sichtlich unwohl. Um ihn zu ermutigen, lächelte sie ihn an. Sie hoffte, er verstand die Nachricht, die darin verborgen lag. Was immer er getan hatte, sie würde ihm verzeihen, denn sie
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