WELTEN-NEBEL
das ihre zu binden. Sie hätten ihren Kameraden ertrinken lassen. Wenn es kritisch wird, ist sich jeder selbst der Nächste. Auch gab es schon einige neidische Blicke auf unser Gepäck. Sie werden uns eher gefährlich werden denn nützlich sein.“
Er hatte ihr Angst gemacht. Ihre Augen waren vor Furcht geweitet, das konnte er trotz der zunehmenden Dunkelheit erkennen. Doch schnell fasste sie sich, um dann entschlossen zu nicken. „Gut, wir werden unseren eigenen Weg beschreiten. Ich habe nur Angst, dass wir die Berge nicht werden bezwingen können.“
„ Wenn ich die Sache richtig einschätze, werden wir nicht bis zu den Gipfeln aufsteigen müssen, um sie zu überwinden. Vom Schiff aus habe ich Einschnitte gesehen, schmale grüne Täler. Eines ist nicht weit von hier in westlicher Richtung. Ich schlage vor, wir versuchen dort unser Glück. Bleibt nur noch die Frage, wie wir ungesehen von der Schiffsbesatzung fortkommen. Ich glaube nämlich nicht, dass sie über unser Fortgehen sonderlich erfreut sein werden.“
„ Können wir nicht gleich aufbrechen? Die Dunkelheit wird uns Schutz bieten, und wenn sie am Morgen aufwachen, werden wir schon ein ganzes Stück von ihnen entfernt sein.“
„ Aber es ist schon fast ganz dunkel, wie sollen wir den Weg finden?“
„ Nun, eigentlich können wir nicht fehlgehen, auf einer Seite sind wir durch den Ozean begrenzt, auf der anderen durch das Gebirge. Die einzige Gefahr besteht darin, dass wir das Tal verfehlen, doch es wird wohl nicht das einzige sein.“
Ihre mutigen Worte zeigten ihm, dass sie bereit war, das Wagnis einzugehen. Er war es ebenso, hatte sie aber nicht drängen wollen. Er spähte zu den Seeleuten hinüber. Um das Feuer war es ruhig geworden, er konnte keine Bewegung ausmachen. Sie würden noch einige Zeit warten, bis auch das letzte Tageslicht erloschen war, dann würden sie sich leise davonschleichen. Er hoffte, es ginge gut.
Der Mond war nicht mehr als eine schmale Sichel, einzig das Funkeln der Sterne brachte etwas Licht in die undurchdringliche Schwärze der Nacht. Vorsichtig bahnten sie sich ihren Weg über das steinige Ufer. Anfangs waren sie geschlichen, um niemanden auf ihre Flucht aufmerksam zu machen, doch auch nun schritten sie kaum rascher dahin, zu groß war die Gefahr, zu stolpern oder gar zu fallen. Jeder von ihnen trug eines der Bündel und sie hielten einander bei den Händen, um sich gegenseitig Halt zu geben und sich nicht in der Dunkelheit zu verlieren.
Irgendwann sah sie sich gezwungen, Waylen um eine Pause zu bitten. Ihre Beine fühlten sich so schwer an, dass es ihr unmöglich erschien, sie auch nur ein weiteres Mal zu heben. Außerdem war sie unendlich müde.
Waylen aber gestattete ihr nicht, sich niederzusetzen. Er nahm ihr zwar das Bündel ab, zog sie dann aber unerbittlich weiter. „Wir werden erst rasten, wenn es hell wird und wir einen geeigneten Platz gefunden haben. Zwar ist dieser Landstrich angeblich menschenleer, doch nichtsdestotrotz kann man nicht vorsichtig genug sein. Komm jetzt, es ist nicht mehr lange bis zum Morgen. Das wirst du noch schaffen. Du unterschätzt deine eigene Stärke.“
Auch wenn seine Worte dazu bestimmt waren, ihr Mut zu machen, sie konnten ihr keine neue Kraft geben. Sie versuchte, sich einfach auf den Boden sinken zu lassen, doch Waylen ließ das nicht zu. Der Griff seiner Hand verstärkte sich. Fast hätte sie vor Schmerz aufgeschrien. Sie fühlte sich an ihre erste Begegnung mit ihm erinnert. Schon damals hatte sein fester Händedruck ihr fast einen Schmerzenslaut entlockt. Inzwischen aber wusste sie, dass Waylen ebenso auch sanfte, zarte Seiten hatte. Seine Hände konnten nicht nur fest zupacken, sondern auch tröstend streicheln, sanft halten. Auch sonst hatte er sie immer wieder überraschen können. Von dem rauen, derben Mann, als den sie ihn kennengelernt hatte, war kaum etwas geblieben. Sie hatte erkennen müssen, dass die Derbheit nur eine Maske gewesen war, die er zeigte, um sich selbst gegen die Gefahren und Verletzungen, die die Welt bereithielt, zu schützen. Dabei hatte es das nicht nötig. Seine körperliche Kraft vertrieb ohnehin fast jeden, der ihm Böses wollen würde. Wie oft hatte sie schon fasziniert das Spiel seiner kräftigen Muskeln beobachtet. Aber sein Äußeres war nicht das, was Waylen wirklich ausmachte. Es war seine innere Stärke, die sie wirklich beeindruckte. Während sie selbst bei jedem Hindernis ans Aufgeben dachte, war ihm dieses Verhalten
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