WELTEN-NEBEL
Küstenstreifen.
Jahr 3619 Mond 10 Tag 23
Vor der Küste Helwas
Es dauerte acht Tage, bis sie die Ostspitze Helwas erreicht hatten. Auf ihrem Weg an der Felsenküste entlang hatten sie zahlreiche Einschnitte und grüne Täler entdeckt. Dennoch hatten sie entschieden, erst an der Mündung des Flusses Waris an Land zu gehen. Dort wären sie auch gleich in der Nähe der Hauptstadt Heet. Sicher war es ratsam, sich offiziell bei den Herrschern des Landes vorzustellen. Es könnte Unmut hervorrufen, wenn sie sich ohne Erlaubnis durch Helwa bewegten.
Am Morgen des achten Tages an der Flussmündung angekommen, stellten sie fest, dass der Fluss Waris schiffbar war. Sie würden also bis zur Hauptstadt fahren können. Obgleich sie auf ihrem Weg einigen anderen Schiffen begegneten, wurden sie weder angesprochen noch aufgehalten. Offenbar war hier ein Gruß zwischen Seefahrern nicht üblich. Auch die Leute, die sie am Ufer bei diversen Tätigkeiten beobachten konnten, schenkten ihnen keine Beachtung. Alle gingen teilnahmslos ihrer Arbeit nach. Noch bevor sie von Bord gingen, waren sie sich daher der seltsamen Stimmung bewusst.
Im Hafen von Heet hatten sie zum ersten Mal Kontakt zu einem Einheimischen. Der Hafenmeister verlangte ein Entgelt für den Liegeplatz im Hafen. Da sie nicht über landestypische Währung verfügten, war einige Überredungskunst nötig, um ihn vom Wert der cytrianischen Goldmünzen zu überzeugen. Sie waren sicher, ihm einen unangemessen hohen Preis gezahlt zu haben, doch in diesem Augenblick war es ihnen egal. Obgleich der Hafenmeister nicht sehr gesprächig war, konnten sie von ihm den Weg zum Palast erfahren. Es war früher Nachmittag, also entschlossen sie sich, ihr Glück noch am gleichen Tag zu versuchen.
Auf dem Weg zum Palast betrachteten sie ihre Umgebung genau. Die Straßen der Hauptstadt waren auffällig leer. Nirgends entdeckten sie größere Märkte, spielende Kinder oder fröhliche Menschen. Es war eigentümlich ruhig. Die Leute huschten schnell und mit gesenktem Kopf durch die Straßen. Die Gebäude waren grau und schmucklos, jede Straße sah gleich aus. Den Weg zum Palast fanden sie dennoch ohne Probleme. Der riesige Prunkbau, der reich mit Gold verziert und von zahlreichen Türmen, Kuppeln und Fahnen gekrönt war, dominierte die ganze Stadt. Schon von Weitem konnte sie zwei Ringe aus Mauern und Türmen ausmachen. Sie folgten nun einer breiten Straße, deren Pflaster reinweiß war und in der Sonne glänzte. Sie führte sie direkt auf das Haupttor des Palastes zu. Dort angekommen, trug Zada der Torwache ihr Anliegen vor. Diese beachtete sie jedoch nicht. Erst als Mawen den Wunsch wiederholte, den Herrscher zu sprechen, erfolgte eine Reaktion. Ihnen war schon bei dem Gespräch mit dem Hafenmeister aufgefallen, dass sich dieser stets Mawen zugewendet und die beiden Frauen kaum beachtet hatte. Anscheinend waren Frauen in diesem Land nicht als ernst zu nehmende Gesprächspartner angesehen. Mawen musste eine Weile mit der Torwache diskutieren und auch ein mitgeführtes Schreiben der cytrianischen Regierung vorzeigen, bevor ihnen die Geschichte geglaubt wurde. Die Torwache rief einen zweiten Soldaten herbei. Dieser geleitete sie in den Innenhof des Palastes. Dort wurden sie von einem Beamten empfangen. Diesem mussten sie ihre Geschichte erneut darlegen. Offenbar gelang es Mawen, den Mann zu überzeugen, denn sie wurden höflichst in das Innere des Palasts geleitet. In einem Salon hieß man sie warten. Dies gab ihnen Gelegenheit, sich umzuschauen. Die Innenausstattung war noch prunkvoller als das Äußere. Die Hölzer des Fußbodens erschienen edel und waren in komplizierten Mustern verlegt. Bunt gemusterte Stoffe zierten die Bogenfenster, die aus bunt gefärbten Gläsern bestanden. Überall waren Gold und Silber zu sehen. Da ihr Vater Tharet sie bisweilen dorthin mitgenommen hatte, kannte Zada den ehemaligen Königspalast von Aaran, doch eine solche Pracht gab es dort nicht.
Nachdem sie sich umgesehen hatten, begann sie, sich leise zu unterhalten. Zada fragte: „Was meint ihr, werden wir den König sprechen dürfen?“
„ Ich denke schon. Sonst hätte man uns sicher schon abgewiesen. Ich denke, sie sind neugierig. Aber es wird besser sein, wenn ihr mich sprechen lasst. Es scheint hier nicht üblich zu sein, dass Frauen in solchen Angelegenheiten reden.“
Darija erwiderte: „Wie Ihr meint, Mawen. Ich würde mir das ohnehin nicht zutrauen, mein Helwarisch ist doch eher schlecht.
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