WELTEN-NEBEL
Darija erst dann wecken sollte, doch nun zweifelte er. Während der Wind die ganze Nacht über kontinuierlich geweht hatte, war es mit einem Schlag windstill. Ihm fehlte das nautische Wissen, um sich einem Reim darauf zu machen. Also entschied er, die junge Schiffbauerin zu wecken. Sie war sofort hellwach. „Gut, dass Ihr mich geweckt habt. Wir müssen die Segel vollständig reffen, damit sie nicht permanent gegen den Mast schlagen und dabei leiden.“
Darija mache sich gleich daran, dies zu tun. Als sie fertig war, fragte Mawen: „Und was tun wir nun?“
„ Wir können nicht mehr tun als warten, bis der Wind wieder auffrischt.“
Sie lehnte sich neben ihn an die Reling. Jetzt, wo es für sie nichts mehr zu tun gab, schien die Müdigkeit sie wieder zu übermannen. Daher schwieg Mawen und schaute in die Dunkelheit, die nur von der kleinen Laterne am Bug des Schiffes erhellt wurde. Irgendwie kam ihm deren Licht auf einmal milchig und trübe vor. Auch fühlte sich die Luft seltsam an. Noch bevor er sich einen Reim darauf machen konnte, lieferte Darija die Erklärung auf seine unausgesprochene Frage: „Nebel. Meint Ihr, es handelt sich dabei um den Welten-Nebel?“
Er zuckte reflexartig mit den Achseln, bevor er sich bewusst wurde, dass sie ihn genauso wenig sehen konnte wie er sie. „Ich weiß es nicht. Möglich wäre es. Wir sind inzwischen lange genug unterwegs. Haltet Ihr die Flaute für ein natürliches Phänomen oder ist sie eher ungewöhnlich?“
„ Da kann ich nicht sagen, da es noch keine Erfahrungswerte für dieses Gebiet gibt. Auch kann man eine solche Windstille schlecht vorhersagen. Sollten wir jedoch tatsächlich den Welten-Nebel erreicht haben, dann wäre eine solche Flaute eine wirksame Barriere.“
„ Sollte dem so sein, dann hoffe ich, dass wir nicht die nächsten acht Tage warten müssen, bis der Wind wieder weht.“
„ Selbst wenn dem so wäre, könnten wir kaum etwas dagegen tun.“
Tag 7 im Welten-Nebel
Mawens Befürchtung bezüglich der Flaute schien sich zu bewahrheiten. Seit nunmehr sieben Tagen regte sich nicht das leiseste Lüftchen. Inzwischen waren sie sich sicher, sich im Welten-Nebel zu befinden. Der Nebel begleitete sie durch die Tage des Wartens. In den ersten Tagen hatte Zada stets damit gerechnet, dass irgendwas geschehen würde. Sie war sich sicher gewesen, dass es zu einer Prüfung durch die Götter kommen würde. Doch bis jetzt war nichts geschehen. Aber noch waren es zwei Tage bis zum Tag zwischen den Sonnenwenden.
Tag 10 im Welten-Nebel
Der einundzwanzigste Tag des neunten Mondes war am Vortag angebrochen und verstrichen, ohne dass sich etwas getan hatte. Der Nebel trübte noch immer die Sonnenstrahlen und die See lag absolut ruhig da. Nach den scheinbar endlosen Tagen des Wartens hatte sie nun Ratlosigkeit erfasst. Darija starrte aufs Meer hinaus und dachte nach. War ihre Mission gescheitert, hatten die Götter ihnen die Durchquerung des Welten-Nebels endgültig verweigert? Warum hatten sie das getan? Was hatten sie falsch gemacht? Und wie würde es jetzt weitergehen? Würden die Götter ihnen gestatten, nach Hause zurückzukehren?
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie Zadas Hand auf ihrem Arm spürte. Die junge Priesterin schaute sie fragend an. Anscheinend erwartete sie etwas. Darija fragte: „Habt Ihr etwas gesagt?“
„ Ich habe nur gefragt, ob es Euch gut geht. Ihr steht seit Stunden hier, ohne Euch zu bewegen.“
„ Ich habe nachgedacht.“
„ Ich kann mir vorstellen worüber. Auch ich denke kaum noch an etwas anderes als unsere Situation. Ich habe seit gestern mehrfach versucht, die Götter mit meinem Gebet zu erreichen, aber sie schweigen noch immer. Bisher habe ich mich bemüht, ihr Schweigen als gutes Zeichen zu werten, aber allmählich mache ich mir Sorgen. Wir können nicht ewig hier verweilen. Unsere Vorräte sind endlich.“
Während Zada sprach, hatte sich auch Mawen zu den beiden Frauen gesellt und die letzten Sätze mit angehört. Er schaltete sich in das Gespräch ein: „Ich teile eure Sorgen, aber noch ist nicht alles verloren. Die Götter wollen uns sicher nur testen.“
„ Aber warum? Haben wir nicht schon im Uralt-Wald bewiesen, dass wir fähig sind zu warten? Was meint Ihr, Zada? Ihr kennt die Götter doch am besten.“
„ Ich weiß es nicht, Darija. Ich bin zwar eine Priesterin, doch bisweilen glaube ich, dass ich den Göttern nicht näher bin als Ihr. Zwar bin ich ausgebildet, die Rituale
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