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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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wirklich alles gesehen habe - wieder ein Irrtum.)

    Er schleuderte das Mädchen in meine Richtung und verschaffte sich damit genug Zeit, um loszurennen, nachdem er draußen im Gang über die noch zuckenden Leiber seiner Wachen gestolpert war. Ich löste mich von der schreienden Sklavin und musste sie mit der freien Hand, die keine Machete schwenkte, niederschlagen, als sie mit ausgefahrenen Krallen auf mich losging - warum, wussten wohl nur die Götter der Region. Schließlich machte ich mich effektvoll brüllend an die Verfolgung. Noch heute weiß ich nicht, woher der Revolver kam. Vielleicht war er ihm aus der Hose gerutscht. Ich bückte mich, um ihn aufzuheben, gerade als der Caudillo hysterisch kreischend im Gras verschwand. Ungeladen. Gut gemacht. Trotzdem schob ich ihn mir in den Hosenbund und folgte der Spur umgeknickter Halme. Mein Tempo wurde gemächlich. Der Caudillo vor mir hatte die schwere Arbeit, weil er sich trampelnd einen Weg durch fingerdicke Stängel bahnen musste, den selbst ein einbeiniger Blinder nicht hätte verfehlen können.
    Irgendwo über meinem Kopf seufzte der Wind durch das hohe Gras, und einen Moment lang war ich wieder in einer Banlieue gleich außerhalb des Boulevard Périphérique und sprang über ein ausgebranntes Auto, um den zwei jungen Maghrebinern nachzujagen, die in dem Hochhaus, aus dem wir gerade kamen, eine junge Frau hatten vergewaltigen wollen. Alles sehr ritterlich, da aus ihr, abhängig davon, ob die Schändung stattfand oder nicht, entweder ein verängstigtes armes Luder werden sollte, das sich noch vor ihrem zwanzigsten Geburtstag samt Kind vom Dach des besagten Hochhauses stürzen würde, oder eine renommierte Autorität für Psychosemantik - was immer das auch war - an den Universitäten von Trier und Kairo.

    Die beiden Kerle hatten eine Flasche Salpetersäure dabei. Diese sollte ich gegen sie verwenden, so wie sie es nach der Vergewaltigung gegen die junge Frau getan hätten (damit sie es nicht wieder versuchen konnten), doch bevor ich sie erwischen konnte, sprangen sie über eine Mauer und fielen zehn Meter tief in ein frisch gegrabenes Loch auf einer Metrobaustelle. Einer hatte noch Zeit für einen Schrei, bevor er auf den Beton krachte. Der andere blieb stumm - der Scheißkerl hatte wahrscheinlich gerade eingeatmet. Als Playstation-Avatare waren sie zwar Parkour-Ninjas, doch im wirklichen Leben waren sie mit dem Kopf voran aufgeprallt. Kurz bevor ich die Mauer erreichte, hörte ich ein scharfes Knacken, vermutlich von ihren Hälsen, aber es konnten auch ihre zerplatzenden Schädel gewesen sein. Von den um sie verstreuten Scherben der zerborstenen Flasche Salpetersäure stiegen Dämpfe auf.
    Nur dass sie diesmal über einen Maschendrahtzaun in ein Umspannwerk kletterten und wie Hürdenläufer über summende Apparate hüpften. Zusammen verschwanden sie in einem einzigen blauen Riesenblitz, der mich blendete und sich in einem ohrenbetäubenden Knall entlud. Taumelnd prallte ich gegen den Zaun.
    Moment, so war das nicht passiert … Ich wäre doch fast selbst über diese Mauer gesprungen, statt einen Maschendrahtzaun hinaufzukraxeln und zwischen Stromschienen herumzutanzen.
    Und dann war ich wieder in dem blaugrauen Feld und stapfte dem zunehmend verzweifelten Caudillo hinterher. Irgendwo weiter vorn war zu hören, wie sich in seinen hechelnden Atem halb verschluckte, winselnde Gnadenrufe mischten. Die Bahn, die er hinterließ, war geschwungen. Vielleicht wollte er einen Bogen zurück zu den Gebäuden
schlagen, weil er gemerkt hatte, dass er keine Chance hatte, wenn er sich für uns beide durch das harte, hohe Gras graben musste.
    Doch nein, ich rannte in Bahia einen Favela-Hang hinunter und sprang schreiend über leere Ölfässer, wieder auf der Jagd nach einer mageren Jugendlichen. Diese sollte ich aber nur erschrecken. Sie sollte mich für einen Zivilpolizisten halten, um später eine berühmte Geigerin werden zu können statt eine Drogenkurierin. Am Fuß des Hügels rannte sie auf die erste große Straße und wurde um ein Haar von einem Lastwagen plattgewalzt, der bedenklich schwankend auswich. Ein Mann auf einem Motorrad raste mit voller Wucht dagegen, riss sich halb den Kopf ab und brach tot zusammen. Jenseits des vorüberrollenden Verkehrs verschwand das Mädchen in einer Gasse, und ich blieb stehen, die Hände auf die Knie gestützt, und rang nach Luft.
    Schwindlig taumelte ich zur Seite, und plötzlich wurde aus dem Taumeln ein Rennen: Ich lief ihr noch

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