Welten - Roman
eigentlich schlafen. Na ja, da (mit dem Mittelteil konnte ich nichts anfangen) noch rausholen und Sie ins Bett bringen. Ich weiß nicht, warum (irgendwas irgendwas).« Er klang freundlich und beruhigend.Vermutlich war er erstaunt, dass man mich so verschnürt hatte. »Keine Ahnung, warum man Sie da reingesteckt hat zu den …« Das letzte Wort verstand ich nicht, aber nach seinem Ton zu schließen, war es eine leicht beleidigende Bezeichnung, einer dieser flotten, ehrlichen, aber potenziell auch schockierenden Begriffe, die Mediziner und Pfleger untereinander verwenden, die jedoch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
In dem großen, wackeligen Lift fuhren wir nach oben. Wie immer ging es sehr langsam, und er beschäftigte sich damit, die Gurte zu lösen, die mich an die Liege fesselten. Dann schob er mich zu meinem Zimmer und half mir in mein Bett. Als er mir eine gute Nacht wünschte, hätte ich am liebsten geweint.
Am nächsten Tag besuchte mich die junge Assistenzärztin mit dem mattbraunen Haar und erkundigte sich, was vor zwei Nächten passiert war. Ich begriff nicht alles, was sie sagte, gab ihr aber möglichst umfassend Auskunft. Kein beleidigender Puppenblödsinn diesmal, und dafür musste ich wohl dankbar sein. Allerdings auch keine Entschuldigung
oder Erklärung im Hinblick darauf, dass man mich auf eine Liege geschnallt und mich in einer fremden Station abgestellt hatte. Ich wollte sie fragen, warum sie das getan hatten, was da eigentlich los war, was unternommen wurde, um den Eindringling aufzuspüren und zu verhindern, dass er sich erneut an mich heranmachte. Aber mir fehlte das Vokabular, um all dies genau auszudrücken, außerdem machte mich die zarte junge Ärztin auch verlegen. Eigentlich musste ich doch selber mit diesen Dingen klarkommen! Es war nicht nötig, sie mit peinlichen Vorhaltungen zu behelligen.
Der Tag verging. Die meiste Zeit saß ich mit geschlossenen Augen im Bett oder auf meinem Stuhl und dachte nach. Je länger ich mir den Kopf zerbrach, desto stärker wurde der Verdacht, dass irgendwas mit der Station dort unten nicht stimmte.
Die Stimmung war einfach zu friedlich. Der Mann im Nachbarbett, der sich mir halb zugewandt hatte, war einfach zu weggetreten gewesen. Hatte man sie alle ruhiggestellt? Durchaus möglich. Bei Problempatienten geschieht das oft - sozusagen das chemische Pendant zu den Gurten, mit denen man mich ungerechtfertigterweise gefesselt hatte. Vielleicht wäre dort alles in Aufruhr gewesen, wenn man nicht allen Beruhigungsmittel gegeben hätte.
Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Der Ort hatte irgendwie etwas Vertrautes an sich, das eine verschwommene Erinnerung in mir weckte, etwas, das eines Tages, aber vielleicht auch schon jetzt von Bedeutung sein konnte. War es nur die Ausstrahlung der Station, die Atmosphäre (ich glaube, es gibt ein anderes Wort dafür, das mir aber nicht einfällt)? Oder war es eine Einzelheit, die meiner aktiven Geistestätigkeit entgangen
war, obwohl ich sie unbewusst wahrgenommen hatte?
Ich beschloss, der Sache nachzugehen. Sicher, ich hatte tags zuvor auch beschlossen, das Personal und die Sabberer im Aufenthaltsraum zu befragen, um etwas über den unbekannten Eindringling zu erfahren, und hatte nichts unternommen.Vielleicht war es doch das Beste, die Sache auf sich beruhen zu lassen, vorausgesetzt, sie wiederholte sich nicht. Es lohnte sich überhaupt nicht, dem Kerl so viel Beachtung zu schenken. Das Geheimnis der stillen Leute auf der stummen Station schien mir irgendwie viel bedeutsamer, gravierender. Hier war eine genauere Untersuchung durchaus angemessen. Ich nahm mir vor, mich noch heute Nacht dort unten umzusehen.
Ich schlug die Augen auf. Besser, wenn ich sofort ging. In der Wachzeit würde ich mehr über die stumme Station herausfinden als in der Nacht, wenn alle schliefen.
So stand ich auf, zog Pantoffeln und Morgenmantel an und schlich auf dem Gang zur Treppe und von dort ins Erdgeschoss. Die Reinigungskräfte verrichteten gerade ihre Arbeit und riefen mir von der Tür der Station etwas entgegen. Vor allem ihren Gesten entnahm ich, dass ich nicht auf den noch nassen Boden treten sollte, und kehrte wieder um.
Am späteren Nachmittag machte ich einen weiteren Vorstoß und kam bis zur stummen Station, wo mich ein Pfleger verscheuchte. Durch die sich schließende Tür erhaschte ich einen Blick auf eine friedliche Szenerie. Milchiges Sonnenlicht lag auf strahlend weißen
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