Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Klarheit lag in ihrer Stimme. »Sind Sie völlig übergeschnappt?« (Professore Loscelles ließ die Brauen hüpfen, vielleicht um anzudeuten, dass dies seines Wissens nicht der Fall war.) »Wenn die Leute ohne die Droge springen können …« Sie sprach langsam wie mit einem kleinen Kind. »Wie sollen wir sie dann kontrollieren?«
    »Nun …« Weiter kam der Professore nicht.
    »Erstens«, fuhr Madame d’Ortolan in scharfem Ton fort, »ist es nicht in einem unserer äußerst kostspieligen, aber - wie es jetzt scheint - eher bedeutungslosen Laboratorien passiert. Also nicht im Rahmen eines sorgfältig gesteuerten Feldversuchs und ohne die Einschränkungen eines exakt definierten Umfelds. Es hat sich einfach so ergeben, mitten in einer tiefen Krise des Rats, und noch dazu in Gestalt eines bislang loyalen, doch nun auf einmal abtrünnigen Attentäters, der, wie mir diejenigen nervös mitteilen, die sich praktisch erfolglos auf die Suche nach ihm gemacht haben, möglicherweise auch noch andere bisher ungeahnte Kräfte und beunruhigend einzigartige Fähigkeiten entfalten könnte. Als ob …«
    »Wirklich? Aber das ist ja außerordentlich!« Der Professore schien ganz aufgeregt von dieser unerwarteten Entwicklung.
    Die Dame runzelte die Stirn. »Ja, wirklich faszinierend !« Sie klatschte die Hand so heftig auf das schmale Pult, dass Staub aufwirbelte. Erschrocken zuckte der Professore zusammen.
Schwer atmend versuchte Madame d’Ortolan, sich wieder zu fassen. »Es wird Sie gewiss freuen zu erfahren, dass alle einschlägigen Wissenschaftler, Experten und Fakultätsmitglieder nicht nur genauso begeistert sind wie Sie, sondern auch genauso außerstande zu begreifen, welche Katastrophe das für uns darstellt.« Sie legte dem Professore die Hände auf die Pausbacken und drückte seine glatte, parfümierte Haut nach innen, bis es aussah, als wären der Mund und die rote Knollennase zwischen zwei pralle, strahlend rosige Polster geraten.
    »Loscelles, denken Sie doch mal nach! Einen Einzelnen oder eine Gruppierung von Leuten zu besiegen ist leicht - man stellt einfach eine zahlenmäßige Überlegenheit her. Wenn sie Knüppel haben, sorgen wir dafür, dass unsere Knüppel größer und in der Überzahl sind. Das Gleiche gilt für Pistolen, Symbole, Bomben und alle anderen Waffen und Kräfte. Aber wenn dieser Mann - der offensichtlich nicht mehr zu uns gehört und sich vielmehr ganz entschieden gegen uns gewandt hat - etwas kann, was keiner von uns kann, wie sollen wir dagegen vorgehen?«
    Der unerbittliche Griff, mit dem sie seine Wangen umklammerte, und die daraus resultierende Unmöglichkeit einer verständlichen Erwiderung boten dem Professore Anlass zu der Vermutung, dass es sich hier um eine rhetorische Frage handelte. »Allein die Bedrohung, die von diesem Individuum ausgeht, könnte uns in große, große Schwierigkeiten bringen.« Sie ließ sein Gesicht sanft zwischen den Händen erbeben. »Aber das ist nicht alles, es kommt noch viel schlimmer. Was ist, wenn das auf einmal jeder kann, der eine kleine Ausbildung macht? Wenn jeder Idiot, Eiferer, Enthusiast, Revolutionär, Dissident und Revisionist einfach in den Körper eines anderen eindringen
und dessen Bewusstsein verdrängen kann? Ohne Vorbereitung? Ohne die nötigen Schutzvorkehrungen und ohne Rücksicht auf gerechte Anliegen und erwiesene Relevanz? Ohne die Lenkung und Erfahrung des Konzerns? Was bedeutet das für uns? Hmm? Das kann ich Ihnen gern verraten: Wir verlieren jede Macht über die wohl größte Kraft, die ein Mensch in dieser oder einer anderen Welt besitzen kann. Können wir das hinnehmen? Können wir das dulden? Können wir uns das gefallen lassen?« Langsam gab sie Loscelles’ Wangen frei und breitete die Hände aus. Die Gesichtszüge des Professore nahmen wieder ihre normalen Konturen an. Er schien überrascht und ein wenig bestürzt über diese Behandlung.
    Mit besorgter Miene schüttelte Madame d’Ortolan den Kopf. Professore Loscelles merkte, dass er den seinen wie aus Sympathie im Takt mitbewegte.
    »Nein«, beschied ihn die Dame, »das können wir nicht.«
    »Im schlimmsten Fall wäre vermutlich sogar mit Anarchie zu rechnen.« Mit gewichtigem Stirnrunzeln blickte der Professore zu Boden.
    »Mein lieber Professore«, erwiderte Madame d’Ortolan, »im Vergleich zu dem, womit in diesem Fall zu rechnen wäre, könnten wir der Anarchie getrost Tür und Tor öffnen, ihr die Schlüssel übergeben und mit unbeschwertem Sinn davonhüpfen, glauben Sie

Weitere Kostenlose Bücher