Welten - Roman
eine Liste, die sie sich zusammengesucht hat.«
Madame d’Ortolan schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Schnaubend wandte sie sich ab. Wir setzten unseren Spaziergang fort. Eine Weile wurde nichts gesprochen. Ein Flugzeug pflügte einen weißen Doppelstreifen über den Himmel.
»Sie sind einer der Ersten«, verriet sie mir, als wir uns dem Landesteg näherten, wo die Barkasse vom Palazzo Chirezzia wartete. »Wir vermuten, dass sie es nur auf Weltenwechsler abgesehen hat. Wir verfügen über Experten und Techniken, um ihre nächsten Schritte vorauszuberechnen, und bislang konnten wir sie wohl davon abhalten, größeres Unheil anzurichten. Aber Sie werden gewiss begreifen, dass wir auf die volle Kooperation aller Beteiligten angewiesen sind, um diese günstige Tendenz auch in Zukunft fortzuschreiben.«
»Natürlich.« Nach einer kleinen Pause setzte ich hinzu: »Wenn die Ziele der Dame so obskur sind und die von ihr ausgehende Bedrohung so gering ist, weshalb ist es dann nötig, sie mit solcher Kraft zu bekämpfen?«
Abrupt blieb sie stehen, und wir wandten uns einander zu. Augen blitzen nie wirklich auf. Wir sind keine grotesk leuchtenden Tiefseebewohner (zumindest für mich konnte ich das behaupten; für Madame d’Ortolan hätte ich mich da nicht unbedingt verbürgt). Aber die Evolution hat unsere Aufmerksamkeit dafür geschärft, dass Augen aufgrund von Überraschung, Furcht oder Zorn aufgerissen werden und mehr Weiß zeigen. Madame d’Ortolans Augen blitzten. »Mr. Oh, sie bekämpft uns . Daher müssen wir umgekehrt sie bekämpfen. Solche Abtrünnigkeit dürfen wir nicht unwidersprochen hinnehmen. Das würde nach Schwäche aussehen.«
»Sie könnten sie doch einfach ignorieren«, schlug ich
vor. »Das wäre ein Beweis von Selbstbewusstsein. Und auch von Stärke.«
Etwas wie ein Ausdruck von Gereiztheit huschte über ihr Gesicht, dann lächelte sie knapp und tätschelte mir den Arm, als wir weitergingen. »Ich könnte Ihnen mehr über die zersetzenden Theorien der Dame erzählen, und ich wage zu behaupten, dass Sie sie dann mit größerem Entsetzen und unsere Position mit mehr Verständnis betrachten würden.« Ihr Amüsement wirkte gezwungen. »Ihre Anschuldigungen sind so alarmierend und schädlich, dass wir es für das Beste halten, nichts darüber verlauten zu lassen, doch soweit wir das erkennen können, betreffen sie den gesamten Kurs und Zweck der Aktivitäten des Konzerns. Hinter all unseren Handlungen vermutet sie eine verborgene Motivation und wendet sich damit gegen den Kern unserer Existenz. Ein derartiger Wahnsinn muss kuriert werden. So etwas können wir nicht dulden. Wir müssen uns gegen ihre Vorwürfe zur Wehr setzen und ihre Argumente widerlegen.« Diesmal blitzte es um ihren Mund. »Sie müssen darauf vertrauen, dass Ihre Vorgesetzten - die einen kenntnisreicheren und umfassenderen Überblick haben - in dieser Angelegenheit die richtigen Maßnahmen ergreifen.« Während wir unseren Weg fortsetzten, behielt sie mich im Auge.
Ich lächelte. »Wo kämen wir auch hin, wenn wir unseren Vorgesetzten nicht vertrauen würden?«
Möglicherweise wurden ihre Augen eine Spur schmaler, dann erwiderte sie das Lächeln und wandte den Blick ab. »Na schön.« Es klang, als hätte sie sich gerade zu einer Entscheidung durchgerungen. »Es wird vielleicht noch eine weitere Nachbesprechung geben.« (Es gab keine.) »Vielleicht stehen Sie kurze Zeit unter moderat erhöhter Aufsicht.« (Es wurde eine gelegentlich äußerst aufdringliche
Aufsicht, die mindestens zwei Jahre dauerte.) »Erfreut dürfen wir feststellen, dass Sie in Ihrer Karriere schon einige Erfolge verbucht haben - verfrühte Erfolge nach Ansicht einiger meiner konservativeren Kollegen, aber ich hoffe, sie bald umstimmen zu können. Doch diese Karriere steht noch an ihrem Anfang. Ich hoffe und erwarte, dass sie durch diesen Vorfall keinen Schaden genommen hat. Alles andere wäre wirklich eine Tragödie.« (Sie hatte Schaden genommen. Ich selbst hatte ihr geschadet. Dennoch überflügelte ich all meine Kollegen und kam häufiger zum Einsatz als jeder Einzelne von ihnen.)
Wir ließen den Schatten der Inselmauern hinter uns und erreichten den Pier. Madame d’Ortolan nahm die Hand des Bootsmanns und ließ sich von ihm auf die Barkasse helfen. Nachdem wir Platz genommen hatten, lächelte sie mir zu. »Wir hoffen, dass unser Vertrauen in Sie sowohl begründet als auch wechselseitig ist.«
»Vollkommen, Madame«,
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