Welten - Roman
glücklichen Zufalls war. Nach weiteren Untersuchungen stellte das Amt fest, dass diese Fähigkeit kontrollierbar und der Vorgang sowohl wiederholbar als wahrscheinlich auch übertragbar war: keine Abnormität, sondern eine Fertigkeit, die man erlernen konnte.
Angeblich fand der betreffende Adept auch heraus, wie man in einer Welt einen Geschlechtsakt mit vollständig befriedigendem Abschluss vollziehen und dann nach dem Sprung in eine andere Welt das Gleiche noch einmal erleben kann (nach unterschiedlichen Quellen mit demselben oder einem anderen Partner).
Nach den meisten Versionen dieser Gerüchte war dieser Adept kein Mann, sondern Madame d’Ortolan persönlich. Dies soll vor ungefähr zweihundert Jahren geschehen sein, und danach soll sie den mit dieser Entdeckung verbundenen Machtgewinn für die Realisierung ihrer ehrgeizigen Pläne genutzt haben. Sie ließ sich in den Zentralrat des Transitionamts berufen und sich ein Privileg gewähren, das der Zentralrat nur seinen verdienstvollsten und vornehmsten Mitgliedern gewährte: das Recht, eine oder zwei Generationen zurückzuspringen, wenn die ursprüngliche oder aktuell bewohnte äußere Gestalt alt wird, so dass man durch Übernahme immer wieder neuer Körper nie richtig altert oder gar stirbt - außer durch Gewalteinwirkung.
Angeblich gibt es auch Menschen, denen die Aussicht auf Reisen durch eine unendliche Zahl von Welten nicht Anreiz genug ist, um die vom Transitionsamt geforderte Ausbildung zu durchlaufen. Für diese perversen Seelen ist es vielmehr die Aussicht auf fortgesetzte sexuelle Begegnungen durch den Wechsel zwischen den Welten, die den Ausschlag gibt, obwohl das Amt diese Praxis ausdrücklich missbilligt und durch die streng regulierte Vergabe von Septus erschwert. Ganz ähnlich stellt für jene, denen die Macht über zahllose Realitäten nicht reicht, die annähernde Unsterblichkeit einen zusätzlichen Ansporn dar, um einen Platz im Zentralrat anzustreben.
Weitere Versuche haben gezeigt, dass eine Penetration für die meisten Menschen, die diese Technik beherrschen, nicht erforderlich ist. Eine feste, möglichst viele Körperpartien einschließende Umarmung mit minimalem Hautkontakt, vorzugsweise am Kopf oder Hals, ist vollauf ausreichend. Einige besonders Begabte brauchen bloß beide Handgelenke ganz oder fast ganz umfassen, manche auch
nur eins, und eine noch kleinere Zahl braucht lediglich die Hand einer anderen Person zu halten.
Vorausseher können beim Wechsel in eine andere Welt in die Zukunft blicken, aber gewöhnlich bloß einen kurzen Moment und verschwommen. Diese Fähigkeit kommt nur sehr begrenzt vor, und von all jenen, die wir kennen und nutzen, ist sie die am wenigsten erforschte und unberechenbarste. Dennoch erfreut sie sich allein schon wegen ihrer Seltenheit größter Wertschätzung.
Spürer sind möglicherweise eine spezialisierte Form von Voraussehern (die Vorausseher behaupten dies, die Spürer streiten es ab). Spürer sind in der Lage, Menschen oder, weniger häufig, besonderen Ereignissen oder Tendenzen zwischen den Welten zu folgen. Im Grunde sind sie Spione; eine halb geheime Polizeieinheit, mit der das Transitionsamt seine Springer überwacht.
Dass die Dienste der Spürer in einem unbestreitbar großen Umfang benötigt werden, ist auf eine Charaktereigenschaft der meisten Transitionäre zurückzuführen. Menschen, die die Gabe zum Wechsel zwischen den vielen Welten besitzen, sind fast ausnahmslos ichbezogene Individualisten, die viel von sich halten und ihren Mitmenschen mit einer gewissen Verachtung begegnen; Leute, die der Meinung sind, dass die Regeln und Vorschriften nur für andere, aber nicht für sie gelten. Sie haben also bereits das Gefühl, nicht in derselben Welt zu leben wie alle anderen. Ein Spezialist aus der Abteilung für Angewandte Psychologie an der UPT hat es mir gegenüber einmal so ausgedrückt: Auf dem Spektrum von Selbstlos bis Egoistisch drängen sich diese Personen gefährlich nahe am äußersten Ende des Solipsismus.
Wenn solche Egomanen ungehindert schalten und walten
könnten, würden sie natürlich ihre Fähigkeiten missbrauchen, um hemmungslos ihren eigenen Wünschen und Neigungen nachzugehen. Diese Menschen müssen kontrolliert und somit beobachtet werden, und genau dies ist die Aufgabe der Spürer: Sie spionieren den Springern nach, um zu ihrer Überwachung beizutragen. Spürer und Springer werden strikt voneinander getrennt gehalten, damit sie keine gemeinsamen Verschwörungen
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