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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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tiefer zu atmen. Der Arm, der mich aufrecht hält, bebt noch immer. Der Boden unter meiner Hand ist kühl und aus Holz. Das graue Licht flutet am fernen Ende eines langen Raums herein.
    Ich drehe den Kopf so weit wie möglich in beide Richtungen, dann nicke ich auf und ab und schüttle ihn schließlich. Es tut weh, aber auch gut. Im ganzen Raum nichts Glänzendes, in dem ich mein Spiegelbild betrachten könnte. Sprachen: Mandarin, Englisch, Hindustani, Spanisch, Arabisch, Russisch und Französisch. Ich weiß, dass ich diese Sprachen beherrsche, aber im Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich auch nur ein Wort davon herausbringen
könnte. So einen harten, desorientierenden Wechsel habe ich noch nie erlebt, nicht einmal in der Ausbildung.
    Auf einmal wirkt das Licht heller. Die grauen Strahlen dort hinten auf dem Boden leuchten auf. Sie werden silbern, dann blassgold. Ich huste. Auch das schmerzt.
    Ein großer Raum.
    Und ich habe das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Bereits bei seinem Anblick habe ich diesen Eindruck, doch das Fragre ist mir ebenfalls vertraut. Ich kenne diesen Raum, diesen Ort. Natürlich kenne ich ihn. Ich spüre, dass diese Kenntnis genau der Grund ist, warum ich hier bin.
    Dabei weiß ich nicht, warum ich es oder was ich da eigentlich spüre.
    Ballsaal.
    Palast.
    Plötzlich rauscht es durch mich hindurch, als wären die trockenen Leitungen in meinem Körper blitzartig mit glitzerndem Wasser geflutet worden.
    Der Palast in Venedig, der einzigartigen Stadt in so vielen Welten. Und der Ballsaal, der riesige Raum, eine Landkarte, ein Umgarnungsversuch und ein plötzlicher Ausbruch düsterer Gewalt, der zu einem Verhör führte, dann zu einem Stuhl und einer gewissen Madame …
    Ich bin im Palazzo Chirezzia am Canal Grande in Venedig. Das hier ist der Ballsaal: still, verlassen, außerhalb der Saison (oder Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende später dem Verfall anheimgegeben). Und ich komme soeben von dem unbekannten Ort, an dem ich gefoltert werden sollte.
    Ist das so? Kann das sein?
    Es ist das Letzte, woran ich mich erinnere. Der antiseptische Geruch seiner Finger hängt mir noch in der Nase.

    Abermals erschauernd blicke ich mich um. Ein großer, rechteckiger Raum. Grau bedeckt hängen drei riesige Gebilde wie umgekehrte Tränen von der Decke: die vermummten Geister von Kronleuchtern. Kaum Mobiliar zu sehen, doch die wenigen Stücke scheinen gleichfalls mit Tüchern verhüllt. Den Luftzug spüre ich jetzt auch auf Rücken und Beinen. Ich bin völlig nackt. Ich berühre Mund und Nase und prüfe die Handgelenke. Keine Fesseln.
    Mit der Zunge taste ich nach dem Loch im Zahnfleisch. Ich stoße auf einen unversehrten Zahn. Mit dem Fingernagel hebele ich die drehbare Krone beiseite. Er ist leer.
    Leer, aber vorhanden. Der Zahn ist da, als wäre er nie gezogen worden. Anscheinend habe ich nicht nur mein Ich-Bewusstsein mitgenommen.
    Was ist mit mir passiert? Stöhnend hebe ich den Kopf und stelle mich kurz auf alle viere, bevor ich mich taumelnd erhebe.
    Das kann nicht sein, schießt es mir durch Kopf. Ich muss noch dort sein und auf diesem Stuhl ersticken. Das ist nur eine Halluzination, ein Wachtraum, die wahnhafte Fantasie eines Menschen, in dessen Gehirn kein Sauerstoff mehr gelangt, weil ihm Mund und Nase zugeklebt wurden. Es ist unmöglich.
    Ich wanke zum nächsten hohen Fenster und scharre eine Weile nutzlos daran herum, ehe ich begreife, wie man die Läden öffnet. Ich mache sie nur einen Spaltbreit auf, um hinausspähen zu können.
    Unter einem morgendlichen Sommerhimmel funkelt mir grau und kühl der Canal Grande entgegen. Ein Wassertaxi zieht vorbei, und ein mit Müllsäcken beladenes Boot kräuselt die Wellen in der Gegenrichtung. Ein nur mit wenigen schläfrigen Pendlern besetztes klapperndes Vaporetto
kommt dem Müllboot gefährlich nahe, als es mit fransig durch die Dämmerung wabernden Positionslichtern von einer Seite des Kanals zur anderen kreuzt.
    Ich beiße mir in den Fingerknöchel, bis ich vor Schmerzen schreie, aber ich wache nicht auf. Ich schüttle die geschundene Hand und blicke hinaus auf einen Ort, an dem ich eigentlich nicht sein dürfte.
    Und doch bin ich hier.

ADRIAN
    Die Tussi trug einen Schleier. Kein muslimisches Burkateil, sondern so ein altmodisches Ding aus schwarzer Spitze mit Tupfen drauf, das an einem Hütchen hängt. Das Hütchen hatte aber anscheinend nur den Zweck, den Schleier zu halten. Das Büro war so groß wie der Empfangsbereich und

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