Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
seine aufmerksamen Augen wieder auf Tyark.
»Nun, auch wenn der Orden mir dieses Schicksal vorgibt. Wer sagt, dass es so sein muss? Es gibt immer Hoffnung, auch für mich.«
Was sollte Tyark auch anderes erzählen? Es wäre unklug, schon jetzt über das Wissen Ronwes zu detailliert zu sprechen. Dass es ihm möglich sein würde, weiterzuleben – das könnte er Muras ja sagen, wenn es soweit war.
Muras nickte schließlich und erwiderte: »Ja, vielleicht hast du recht. Ich mache mir einfach Sorgen um dich. Auch schläfst du so unruhig. Die Söldner würden es dir niemals sagen, aber du weckst uns oft genug in der Nacht auf. Du brüllst und schreist – ich glaube, du träumst davon, mit Adaque zu kämpfen. Oder kämpfst du wirklich mit ihr? Du solltest mir davon erzählen, Tyark!«
Tyark schwieg. In der Tat hatte er in den letzten Wochen oft mit Adaque im Schlaf gerungen, auch wenn er nicht immer zweifelsfrei unterscheiden konnte, welcher Kampf wirklich oder nur ein Traum gewesen war.
Manchmal war er mit Schnittwunden aufgewacht, die auch nach Tagen noch stark schmerzten. Auch hatte er in seinen nächtlichen Kämpfen deutlich gespürt, wie nah Adaque inzwischen gekommen war. Es zeigte ihm, dass sie in die richtige Richtung unterwegs waren, trotz der ungenauen Beschreibung der Soldaten bei dem Posten.
Aber viel bedeutender und auch verwirrender war, dass ihre Kämpfe zwar zunächst wohl in den schattenartigen Abbildungen des Ortes stattgefunden hatten, indem sich Adaque gerade aufgehalten hatte. Doch dann hatte Tyark sich auf die leisen Töne versucht zu besinnen, so wie es ihm Arthan geraten hatte. Und bald schon hatten sich die Orte verändert, als wären sie bisher nur Attrappen gewesen. Tyark hatte lange gebraucht, bis er verstanden hatte, wo ihre Kämpfe in letzter Zeit ausschließlich stattgefunden hatten.
Es waren die Wälder und Orte, die er manchmal bereits in seinen Träumen gesehen hatte, bevor er überhaupt von Adaque gewusst hatte. Ihm war klar geworden, dass sie immer weiter zurückreisten in Adaques Jugend - zuletzt hatte ihr Kampf in den Schatten ihres Heimatorts stattgefunden und erst hier war ihm klar geworden, wie sehr er in ihren Geist eingedrungen war. Und wie sehr sie auch in seinem steckte.
Sie waren in der Tat durch ein Band verbunden, aber dieses Band wirkte in beide Richtungen.
Er spürte nicht nur die Unbeschwertheit ihrer Kindheit, so wie er es in den anfänglichen Träumen vor langer Zeit hatte. Dort war auch Kummer, Elend und vor allem ein großes Gefühl: das überwältigende Gefühl von Machtlosigkeit. Seltsamerweise hatte Tyark dadurch das Gefühl bekommen, dass er Adaque so auf eine Weise nähergekommen war, die jenseits seines brennenden Hasses für sie lag. Er war sich sicher, dass ein Teil von ihm Trauer verspüren würde, wenn er sie tötete. So wie man Trauer für einen guten Freund empfindet, wenn dieser von der Welt verschwand.
»Tyark?«
Tyark schüttelte gedankenverloren seinen Kopf. Er blickte in Muras‘ dunkle Augen und sagte schlicht: »Ja, manchmal träume ich von ihr. Und wir kämpfen. Und dort spüre ich auch, wie nah sie bereits ist. Und wie deutlich sie ihr Ziel bereits vor Augen hat. Darum müssen wir uns so beeilen, nur deshalb.«
Sie unterhielten sich noch eine Weile, doch Tyark lenkte das Gespräch immer wieder in andere, weniger nahegehende Richtungen.
Schließlich blickte ihn Muras an und bedankte sich für Tyarks Vertrauen – während dieser irritiert bemerkte, wie seltsam fremd ihm sein Freund und all die anderen Menschen um ihn herum inzwischen geworden waren.
***
Es war das brennende Dorf, das sie schließlich auf Adaques Fährte brachte. Schon von weitem hatten sie den dichten Qualm über einem Felskamm aufsteigen sehen und Tyark hatte sofort befohlen, so schnell wie möglich dorthin zu eilen. Als sie auf dem Kamm standen, konnten sie bereits ahnen, was passiert war.
Das Dorf selbst lag eingeschmiegt in ein kleines Tal, ein dichter, schneebedeckter Wald füllte es vollständig aus. Eine Handvoll Hütten stand versteckt darin und waren nur zu erkennen, da die meisten niedergebrannt waren und aus manchen sogar noch letzte Flammen schlugen.
»Soldaten! Ich glaube, es sind welche aus dem Westreich. Wahrscheinlich von der Allianz!«
Auch Tyark konnte nun einzelne Soldaten entdecken, die zwischen den Bäumen zu sehen waren. Dann hörte er Arthans tiefe Stimme ruhig sagen: »Bogenschützen. Sie zielen auf uns.«
Tyark versuchte, Arthans Blick
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