WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
´selbst ein Gnom kann es ausgraben`. Wahrscheinlich war der Gnom besessen …“
„Törichter alter Granitschädel!“ Beldragon rümpfte die Nase. Mit einer Handbewegung brachte er den Erinnerungsspiegel zum Platzen. „Die Sümpfe wurden schon vor Jahrzehnten trocken gelegt. Die Riesen-schlangen sind ausgerottet, genau wie all die anderen Bestien, mit dem sich Abenteurer zu Ihrer Zeit herumschlagen mussten.“
„Trotzdem“, sagte Kraten beleidigt, „ich verstehe nicht, wie die Diebe an der Menschenfresserin vorbeigekommen sind. Die Bissige Heike ist das gemeinste Weib in tausend Pelder Umkreis. Nicht mal die Orks haben sich auf ihre Insel gewagt.“
Henning, ehemals Oberhaupt der Heiler, hatte sich bisher auf das Stu -dium der neuesten Ausgabe von ´Kräutlein – ein Pflanzenführer für traditionelle Alchemie` konzentriert, nun legte er das Heft zur Seite und wandte sich an Kraten. „Erinnerst du dich an das Menschenfresser-skelett in der Eingangshalle, rechterhand der neuen Mensa?“
„Das alte Ding? Nein! Das kann nicht sein!“ Kraten starrte ihn un -gläubig an, doch allmählich kam die Erinnerung zurück.
„So ist das, mein Lieber.“ Henning rückte seine Lesebrille zurecht. „Für rheumatische Damen ist der Sumpf kein geeigneter Lebensraum. Und dann die einseitige Ernährung: Menschenfleisch geht auf die Gelenke. Hätte sie ihre Lebenspartner nicht immer gefressen, wäre sie im Alter zweifellos besser versorgt gewesen … Jedenfalls hat in ihrer Höhle schon ´54 ein orkisches Gasthaus eröffnet: Zum Blutigen Bratenspieß, so heißt es. Im Elfischen Hauptstadtführer ist es mit drei Butterblumen ausgezeichnet.“
„Orkische Küche?“, ächzte Kraten. „Früher ging man nicht orkisch essen, man wurde von Orks gefressen.“
Henning lächelte nachsichtig. „Natürlich nicht authentisch orkisch, der Besitzer ist ein Gnom. Es geht mehr um die Atmosphäre, die so ein Orkgrill erzeugt, die glühende Hitze, die Kriegsgesänge und der ver-dunstende Alkohol reinigen angeblich die Seele. Meine Enkelin hat dort vor zwei Jahren ihre Silberhochzeit gefeiert. Sie meint, seitdem laufe es viel besser in den Federn, ihr versteht schon.“
Kraten zog es vor, nicht zu verstehen. Mittels Gedankenbefehl lenkte er die Kutschpferde von der Heerstraße auf einen Landweg. Maisfelder und Kartoffeläcker zogen draußen vorbei. Noch vor hundert Jahren war dies Sumpfland gewesen. Hinter jedem Busch hatten Buckelhüpfer, Werschweine und Sumpfgänger gelauert. Damals hatten die Leute noch täglich ihr Leben riskiert, und niemand wäre auf die Idee gekommen, einen Orkgrill romantisch zu finden.
„Sie hatten nicht das Recht, die Karte für sich zu behalten“, grummelte Beldragon. „Sie hätte in die sichere Verwahrung des Gildearchivs ge-hört.“
Kraten verzog das Gesicht. „Die Gilde? Damals war das ein loser Verbund aus Dorfheilern, Dämonenbeschwörern und Volksfestalche-misten. Letztere waren sogar die treusten Beitragszahler! Erst später habe ich in diesem Saustall für Ordnung gesorgt und all den schwarz-magischen Schmutz und die Scharlatane ausgekehrt.“
„Und der Kichernde Hubert?“, fragte Finea. „Was für eine Art Mensch war er?“
„Ein uralter Mistkerl, der im Sumpf lebte, lange bevor Vakorum ge -gründet wurde und es in diesem Land Könige gab. Mein Meister.“
Finea klappte die Kinnlade herunter. Henning rutschte das Heft von den Knien.
„Dein Meister?“ Gillead räusperte sich. „Aber dann bist du ja …“
„Ach, du meine Güte“, sagte Henning.
Kraten rümpfte die Nase. „Kindsköpfe, was wisst ihr schon? Das war vor 127 Jahren. Damals war die magische Ausbildung noch eine persönliche Sache zwischen einem Meister und seinem Schüler. Da hieß es, die Lehre kostet dich so und so viel Jahre unter der Knute, plus 10 Goldstücke und ´ne Ziege. Hand drauf, so war der Pakt geschlossen.“
Plötzlich riss Kraten die Augen auf. Die Hengste scheuten, und die Kutsche neigte sich gefährlich zur Seite, bevor sie zum Stehen kam. Henning war von seinem Kissen gerutscht und ließ sich von Beldragon aufhelfen. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht.
Gillead stieß die Tür auf und sprang mit leuchtendem Kampfstaab auf die Straße. „Landwall wird angegriffen!“, meldete er und deutete vo-raus.
Kraten stieg bedächtig aus und streckte sich, während er den Blick schweifen ließ. Landwalls Bürger liefen durch die Felder, manche tr ugen Kinder oder zogen Vieh hinter sich her. An der
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