WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
lohnt es sich zu leben und zu kämpfen und zu sterben“, sagte sie. „Und wer immer sich gegen die Wahrheit stellt, der ist ihr Feind und unserer. Die Opferung unserer Unterdrücker von Morgen ist nötig, auch, wenn der eine oder andere unter ihnen euch heute vielleicht noch nicht ganz so schlimm erscheinen mag wie der Rest. Denn auch sie tragen das Übel in sich und welche von euch so einen immer verteidigt, die lässt das Übel in ihr Herz hinein und wird damit selber zum Feind aller verständigen Frauen. Darum seid auf der Hut: vor den Männern ebenso wie vor der Falschheit in euch selber.“
Und als die Lehrerin geendet hatte, da meinte der Geistermagier den Schrecken und die Angst in den Gesichtern von vielen der jungen Mädchen zu sehen, welche ihr mit langsam versteinernden Gesichtern zusahen.
Da ging Enbera fort und reiste weiter über jenes Land hinweg und nachdenklich sann er über den rauen Wind und das hohe Gras und die steilen Klippen und die Menschen, die zwischen jenen hausten.
Bald auch dachte er daran, endlich umzukehren und auf die eine oder andere Art heimzureisen in die Gefilde jener Menschen und Trolle, die einander mehr zugetan waren und besser behandelten als jene der Ei nwohner von Aimes, welche er bis dahin kennengelernt hatte.
Allein traf es sich nun, dass er eines Nachmittages in eine weitere Gegend kam, welche aussah wie alle anderen dort: Auch hier lagen bloß wenige, verstreute Dörfer und neben fast einem jeden von ihnen ein Hügel mit einem Opferstein darauf. Jedoch entging es dem Geiste nicht, dass aus der Nähe eines dieser Hügel ein leises Klagen ertönte, getragen vom Winde, still und dennoch durchdringend, sodass es die Ohren der Menschen nur leicht und wenig berühren konnte. Und die Wege in der Nähe jenes Ortes schienen verlassen und seit langem nicht benutzt worden zu sein.
Da zögerte Enbera, denn in dem Klagen und der kalten Luft, die es mit sich trug, verspürte er die Nähe eines anderen Toten, der doch noch weiter sprach und die Menschen mit seinen Rufen zu erreichen suchte.
Zielstrebig eilte er darum den dunklen, hohlen Rufen nach und hinter jenen Hügel, wo er einen wilden, huckeligen Acker vorfand. Dies aber war einer jener Äcker, wie er sie auf seiner Reise schon vielfach gesehen hatte, denn dort wurden die Reste der Opfer verscharrt: Knochen und Eingeweide und das, was übrig war. Das die Frauen von Aimes nicht verspeisten von ihren Opfern.
Hier aber, hockend in einer Erdmulde, sah er eine Gestalt, nebelhaft und entzogen den Blicken der Menschen, die nicht sehen konnten wie er. Und so verschwommen selbst er sie auch nur wahrnehmen konnte, so erkannte er in ihr doch die Umrisse eines Mädchens oder einer ju ngen Frau, die dort leise, doch inbrünstig klagend vor einem flachen Erdwall kauerte.
Sacht und leise trat er zu ihr und ließ sie seinen eigenen Atem im Winde spüren, der eisig-klar war und den Frost der Berge ebenso in sich trug wie jene Funken, die da zwischen den Wolken tanz ten. Und der Nebel, der sie wiederum zeigte, verfestigte sich und die Gestalt der Frau wandte sich zu ihm um. „Wer bist, du, Wanderer?“, fragte sie. „Warum störst du mein Klagen, das nun doch schon seit so vielen Jahren andauert?“
„ Ich bin Enbera“, antwortete er. „Was aber soll dein Klagen für einen Sinn haben, wenn du doch niemand damit zu rufen versuchst, der dein Leiden mindern kann?“
Stumpf aber kam die Antwort des Nebelmädchens: „Niemand kann mein Leiden mindern. Ich allein weiß, wo in mir es liegt, und ich allein weiß, wer es geboren hat, und ich allein weiß, dass der schwerste Teil der Schuld nur in mir selbst ruht. Ich muss büßen, und darum klage ich, bar jeder Hoffnung, außer der einen, dass einmal in einer fernen Zu-kunft alles anders sein wird und ich frei in einem neuen Körper und frei von meinen alten Erinnerungen und meiner Schuld wieder mit meinem Geliebten über die Blumenwiesen tanzen kann.“
„ Wer bist du, und was ist deine Geschichte?“, fragte Enbera.
„ Man nannte mich Terane, das Kind. Einst lebte ich in dem Dorfe, das dort vorne bei dem breiten Bach liegt. Damals wuchs ich auf und war froh, ein Mädchen zu sein, das nicht würde sterben müssen, und ich war froh, dass ich lernen durfte, und Freundinnen hatte und alles, was ich mir nur wünschen konnte.
Meinen Beinamen erhielt ich, a ls meine Lehrerinnen fanden, dass ich auch mit fortschreitenden Jahren immer noch das Lachen und die Dummheit der Kinder in mir trug.
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