WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
keinen Fall würde sie den Gegenstand direkt ergreifen.
Plötzlich hörte sie wieder die bekannte Stimme von unten. Die Söld -nerin durfte keine Zeit mehr verlieren. Schnell fasste sie einen Ent-schluss. Sie zog ihren Kapuzenumhang aus. Dann ging sie so nahe an den Metallquader heran, wie sie es gerade noch wagte und warf den Umhang davor auf den Boden, sodass sie ihn leicht wieder greifen konnte. Mit gezogenem Schwert fuchtelte sie über dem Block in der Luft herum. Alles blieb ruhig. Schritte ertönten aus dem Raum unter ihr. Einmal tief Luft holen, dann führte sie ihr Schwert seitlich an den Beutel heran, um ihn mit einem gezielten Stups auf den Umhang zu stoßen.
Als das Schwert den Beutel berührte, brach ohne Vorwarnung ein I nferno aus. Ein gewaltiger, magischer Blitz löste sich aus dem Kuppel-dach und schoss mit voller Wucht in den Kupferblock, zermalmte den steinernen Beutel zu Staub und fuhr entlang des Schwertes in die Diebin. Sesania wurde mehrere Meter zurückgeschleudert und krachte mit dem Rücken in die Brüstung. Dort blieb sie regungslos liegen und grauer Qualm stieg von ihr auf.
Der Klang hastiger Schritte war aus Richtung des Aufgangs zu ver -nehmen. Eine laute, erboste Stimme brüllte voller Zorn. „Wie konnte das passieren? Sie hätte niemals soweit kommen dürfen, ohne dass ich es erlaube. Wieso hast du sie nicht bemerkt?“ Die Schritte stoppten. Erleichterung klang nun in der Tonlage des Unbekannten mit. „Schein-bar ist alles gut gegangen. Mein Plan hat funktioniert! Dieses dumme Ding hat uns einen großen Gefallen getan. Das Amulett ist zerstört, die Diebin ist tot und ich kann mit Recht sagen, dass wir alles getan haben, um den Talisman zu schützen. Los, schaff ihre Leiche auf die Straße als Warnung für alle anderen Strauchdiebe. Ich setze derweil ein Schreiben an die Gilde der Magier auf, dass das Schutzartefakt durch einen un-glücklichen Umstand vernichtet wurde.“
Ein schmerzverzerrtes Stöhnen kam über Sesanias Lippen. Als sie ihre Augen öffnete, erblickte sie Balthasar Zuck und eine kleine, dämoni -sche Gestalt am Aufgang der Treppe. Die Anweisungen des Magiers hatte Sesania genau gehört, jedoch war sie noch zu benommen ge-wesen, um darauf zu reagieren. Langsam kamen ihre Lebensgeister zurück. „Du hinterlistiger Mistkerl!“
„Erstaunlich, sie lebt noch!“ Eine nüchterne Feststellung, mehr war es nicht, was Balthasar von sich gab. „Ich muss den Sicherheitszauber wohl noch verstärken.“
„ Du hast mich an deinen Meister verraten. Dafür werde ich dich eines Tages büßen lassen.“ Wut und Hass klangen aus Sesanias Stimme.
„ Dazu wird es nicht kommen! Kein ungebetener Gast kommt in mei-nen Turm und verlässt ihn wieder lebend. Ihr habt mir ohne Zweifel einen großen Gefallen getan, aber sterben müsst ihr trotzdem!“
„Dein Turm? Du bist nicht Balthasar Zuck! Du bist Meister Friedrich von Jarif selbst.“ Die Erkenntnis traf Sesania wie eine Ohrfeige. Sobald sie die Wahrheit ausgesprochen hatte, zerfloss die Illusion des jungen Lehrlings Balthasar Zuck und Sesania erblickte den alten Meister.
Plötzlich wurde ihr klar, dass es nie um eine Wette ging. Es war ein teuflischer Plan gewesen, in dem sie das Opfer war. „Warum hast du nicht einfach den Anhänger selbst vernichtet, wenn das dein Anliegen war?“
Friedrich von Jarif lachte laut auf. „Das ist ganz einfach, weil ich mich gegenüber der Gilde dazu verpflichtet habe, den Schutzfetisch aufzu-bewahren und seinem neuen Besitzer zu überbringen. Die Konsequen-zen einer Missachtung dieser Weisung wird eine primitive Diebin wie Ihr nie verstehen. Ich sollte unserem König einen Gegenstand be-schaffen, der seinen Träger vor den mächtigsten Zaubersprüchen schützt. Damit hätte ich mich selbst um meinen Einfluss und meine Macht bei Hofe betrogen. Dieses Problem habt Ihr für mich erst einmal beseitigt. Doch nun haben wir lange genug geplaudert. Ich muss den König über diesen schrecklichen Verlust in Kenntnis setzen.“ Damit wandte sich der Meister Illusionist um und sprach zu seinem Diener. „Beende das hier und tue was ich dir aufgetragen habe!“
Es war an der Zeit zu gehen. Sesania umklammerte die Umrandung des Turmes, zog sich daran hoch und ließ sich in die Tiefe fallen. Sie hörte den wutentbrannten Schrei des Meisters. Dann wurde sie von einem heftigen Ruck des Seiles in ihrem Sturz aufgefangen. Das Adrenalin in ihrem Blut verdrängte den letzten Rest ihrer Benommenheit.
Weitere Kostenlose Bücher