Weltkrieg der Waehrungen
der Kurs weiter sinkt. Zu einem späteren Zeitpunkt decken sie ihre »Leerposition« dann ab, indem sie den geliehenen und weiterverkauften Vermögenswert möglichst zu einem günstigeren Preis nachkaufen. Daher lautet der deutsche Ausdruck für diesen Vorgang »Leerverkauf«. Geht das Kalkül der Short-Seller auf, streichen sie die Differenz zwischen ihrem Verkaufskurs und dem späteren Nachkaufkurs als Gewinn ein. Ursprünglich waren Leerverkäufe eine Methode, um sich gegen fallende Notierungen abzusichern. Sie können durchaus defensiven Charakter haben. Jedoch verstärken sie in unruhigen Börsenzeiten häufig den Abwärtstrend, wie in den Wochen vor dem Lehman-Kollaps zu verfolgen war. Ist eine Aktie, eine Anleihe oder eine Währung angeschlagen, sehen sich zuweilen Hunderte oder gar Tausende Akteure â häufig die ominösen Hedgefonds â herausgefordert, Short-Positionen aufzubauen. Den Käufern steht dann am Markt ein Ãbermaà an Verkäufern gegenüber. Der Kurs rauscht in die Tiefe, vielleicht stärker, als es fundamental gerechtfertigt wäre.
Für Unternehmen des Finanzsektors und Staaten kann der durch Short-Selling verstärkte Kurssturz eigene, gefährliche Realitäten schaffen. Ihre Fähigkeit, sich am Markt Geld zu beschaffen, hängt von möglichst soliden Kursen ab. So waren die Verluste zahlreicher Euro-Staatsanleihen im April und Mai 2010 für die Regierungen in der Tat mehr als ein Ãrgernis. Fielen die Notierungen um wenige Punkte, konnte sich das für Länder wie Portugal, Irland oder Spanien in zusätzliche Zinskosten in Millionenhöhe übersetzen â Geld, das in den Haushalten nicht mehr für sonstige Zwecke einsetzbar war. Banken kamen durch den Kursverfall ihrer Papiere zunehmend in Liquiditätsschwierigkeiten.
Einen ähnlichen, nicht ganz so direkten Effekt hatte die Spekulation mit Kreditausfallversicherungen auf Euro-Staatsanleihen (auch Credit-Default-Swaps oder kurz CDS genannt). Das Hochschnellen der CDS-Preise verteuerte ebenfalls die Finanzierungskosten, indem es auch die Renditeaufschläge bei den Anleihen nach oben trieb. Insofern stellte der Ausverkauf an den Anleihenmärkten eine Bedrohung der finanziellen Gesundheit mancher Länder und der europäischen Kreditinstitute dar. Ob von einem koordinierten Angriff oder gar einem Angriffskrieg gesprochen werden kann, ist zugleich fraglich. Deutsche Anleihen waren zum Beispiel nicht von den Leerverkäufen betroffen. Ihr Kurs stieg in der Zeit der Marktturbulenzen sogar.
Auch der rapide Wertverfall des Euro war nicht eindeutig negativ. Einerseits verteuerte die schwächer werdende Gemeinschaftswährung zwar Einfuhrgüter und verschlimmerte daher die Probleme mancher importabhängiger Volkswirtschaften. Zugleich stärkte sie jedoch die Wettbewerbsposition der europäischen Exporteure auf dem Weltmarkt. Eine angloamerikanische Weltverschwörung (wie von manchen kolportiert) war daran schwer festzumachen. Wenn die Wall Street und die City of London gegen die kontinentalen Wirtschaften konspirieren wollten, wäre ihnen sicher etwas Besseres eingefallen, als Produkte eines mächtigen Konkurrenten mittels Währungsmanipulation billiger zu machen. Der Vorwurf eines Angriffskriegs gegen Europas Währung war auch deshalb weit hergeholt, weil es die gleichen Marktkräfte waren, die den Kurs noch im Herbst 2009 auf 1,50 Dollar getrieben hatten. Auch als das europäische Geld im Sommer 2008 sein historisches Hoch bei 1,60 Dollar erreicht hatte, hielt sich das Schimpfen auf die Spekulanten in Grenzen. Auch damals waren die Milliarden-Spieler am Werk gewesen.
Aus anderer Perspektive ergibt die Kriegserklärung der EU-Fürsten gleichwohl Sinn: Ob gesteuert oder ungesteuert â die Aktivitäten der »Spekulanten« drohten die europäische Währungsunion im Mai 2010 zu sprengen. Dadurch nötigten sie den Entscheidern in Brüssel einen Entschluss auf, den sie um jeden Preis hatten vermeiden wollen: Ist die EU bereit, den Maastricht-Vertrag erkennbar zu beugen, um die Währungsunion zu erhalten? Der Zorn der Politiker auf »die Zocker« ist also nur allzu verständlich: Ohne die Spekulanten hätte die Eurozone ihre inneren Widersprüche noch ein paar Jahre vor sich hin knirschen lassen können. Irgendwann hätte man sich dann in Brüssel zu einer Reform des Vertragswerks bequemt.
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