Weltkrieg der Waehrungen
kam zweifelsohne von auÃen. Indem die deutsche Wiedervereinigung näherrückte und schlieÃlich am 3. Oktober 1990 Realität wurde, war es vor allem der Präsident der Französischen Republik, der darauf drang, die Mark zu europäisieren. François Mitterand hatte bereits in den Jahren zuvor eine Fixierung auf die Mark entwickelt, die man in Anlehnung an Freuds Konzept des Penisneids fast als Währungsneid bezeichnen könnte. Der britische Autor David Marsh hat eine Art Biografie des Euro verfasst. Darin weist er nach, dass das deutsche Geld und die Autonomie der Bundesbank für den Sozialisten schon Jahre vor den schicksalhaften Ereignissen vom 9. November 1989 ein Stein des AnstoÃes waren. Bei einer Gelegenheit soll der französische Präsident die Mark als Deutschlands »Atomstreitmacht« 52 bezeichnet haben, die unter europäische (man mag lesen: französische) Kontrolle gestellt werden müsse. Einer anderen Version zufolge hat sich Mitterand von US-Präsident George Bush die Zusicherung geben lassen, dass Washington den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nur akzeptieren werde, wenn die Deutschen auf die D-Mark verzichten. 53 Sein Mitstreiter und Widersacher Jacques Delors hatte den Kampf um die D-Mark 1988 eröffnet, konnte realistischerweise aber nicht erwarten, dass sich vor dem Ende des Jahrhunderts in der Sache viel bewegen würde. So gesehen stellte die Wiedervereinigung für Frankreich die einmalige Chance dar, ein jahrzehntealtes Projekt zu verwirklichen: das Schleifen der deutschen Währungsfestung, die sich aus Pariser Sicht trutzend über Europa erhob.
Ãber viele Beratungen und Beschlüsse der Wendejahre hat sich Kohls Mantel der Geschichte wie ein Umhang des Schweigens gelegt. Allenfalls künftige Historikergenerationen werden nach Freigabe der Quellen ein genaueres Bild erhaschen, wie die Euro-Währung mit der deutschen Einheit verknüpft war. Die Hast, mit der das Projekt Gemeinschaftswährung in den frühen Neunzigerjahren in direkter Folge der deutschen Einheit vorangetrieben wurde, zeugt davon, dass das gemeinsame europäische Geld ein politisch vorrangiges Projekt war. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, am 3. Oktober 1990 traten die ostdeutschen Länder der Bundesrepublik bei, und schon im Dezember 1991 â nur 14 Monate nach der Wiedervereinigung â stimmte der Kanzler dem Vertrag von Maastricht zu, der die Abschaffung der D-Mark festschrieb, jener Hartwährung, der die Ostdeutschen so sehr entgegengefiebert hatten, und die für viele Westdeutsche quasi sakrosankten Status erlangt hatte.
Aus heutiger Perspektive muten viele Prioritäten, die damals von der deutschen Politik gesetzt wurden, merkwürdig an: Statt sich mit ganzer Kraft dem Aufbau der neuen Bundesländer zu widmen und auf eine möglichst zügige Erweiterung der europäischen Gemeinschaft nach Osten hinzuwirken, statt die dringend notwendige Reform der Rente, des Gesundheitswesens, des Arbeitsmarkts und des Steuersystems anzugehen, statt das Land (das sich in einem magmatischen, noch formbaren Ãbergangszustand befand) in einen Innovationsmodus zu versetzen, wurde der Vertiefung der alten Europäischen Union und der Einführung einer nunmehr zum Symbol der Einigung erklärten Gemeinschaftswährung Vorrang eingeräumt.
Die Bundesregierung nahm dabei sogar in Kauf, dass sich Europa durch das Ausscheren von Briten und Dänen (die einen hatten auf eine Opting-in-, die anderen auf eine Opting-out-Klausel gepocht) in eine Euro- und eine Nicht-Eurozone spaltete. Was der offiziellen Lesart zufolge Einheit und Einigkeit schaffen sollte, barg von Anfang an den Keim der Zwietracht, wenn nicht gar der Zerstörung in sich. Helmut Kohl, der Mann, der die beiden deutschen Staaten zusammenführte, trug auch die Deutsche Mark zu Grabe. Er willigte ein, ein bewährtes, stabiles und anerkanntes Zahlungsmittel durch ein experimentelles, potenziell instabiles und von Anfang an hoch umstrittenes zu ersetzen. Unbeabsichtigt pflanzte der Kanzler damit einen Spaltpilz ins Herz Europas. Für den groÃen Europäer Kohl liegt darin wahrlich etwas Tragisches.
Nachruf auf die D-Mark
Die D-Mark war jenes kleine Stückchen »Weltmacht«, das Deutschland nach 1945 ergattern konnte. Militärische Eroberungszüge hatten das Land in der ersten Jahrhunderthälfte in die Katastrophe geführt. Erst als sich die Deutschen
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