Weltraumpartisanen 30: Die Eismensch-Verschwörung
berührte versehentlich ihre Schulter. Ruth atmete erleichtert auf. Die Hand war warm.
Zwei bildhübsche Kellnerinnen im Nostalgie-Look servierten.
Ruth aß mechanisch; sie aß, um sich den Magen zu füllen und bei Kräften zu bleiben. Freude an den kunstvoll dekorierten Platten und am festlich gedeckten Tisch wollte sich nicht einstellen. Ruths Gedanken waren nicht bei der Sache. Als sie ihren Teller schließlich geleert hatte, wäre sie nicht imstande gewesen zu sagen, wie das Menü beschaffen gewesen war.
Desto klarer war sie sich über den Umstand, daß sie auf sich achtgeben mußte. Ihre Nerven bedurften dringend der Erholung. Sie lief Gefahr, irgendwann die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.
Welchen Vorteil sollte es dem Homaten bringen, wenn er sich auf der Astoria als Kellner einschlich? Die Kollegen wären längst auf ihn aufmerksam geworden.
Ruth sagte sich, daß sie aufhören mußte, jeden Menschen, mit dem sie es zu tun bekam, daraufhin zu prüfen, ob er nicht der getarnte Homat sei. Fast war das schon eine Zwangshandlung. Das ständige Mißtrauen machte sie krank, die unaufhörliche Wachsamkeit raubte ihr den Schlaf.
Denn das wollte der Homat: daß sie durchdrehte. Umso leichter würde er sie ausschalten können. In seinem elektronischen Bewußtsein waren Heimtücke und Niedertracht aus zwölf kriminellen Gehirnen gespeichert und hernach durch den Extrakt eines dreizehnten, des von Friedrich Chemnitzer, motiviert. Er gab nicht auf. Um ihm überlegen zu sein, mußte man einsetzen, worüber er nicht verfügte: gesunden Menschenverstand und vor allem moralische Stärke.
Ruth hob den Blick.
Die mich ohne Grund hassen, sind mehr, als ich Haare auf dem Haupt habe. Die mir zu Unrecht feind sind und mich verderben wollen, sind mächtig. Ich soll zurückgeben, was ich nicht geraubt habe …
Die Worte der Bibel kamen ihr in den Sinn und fielen zurück ins Vergessen. Ihr Blick ruhte auf den zehn flimmernden Lichtpunkten, die das Sternbild des Drachen bilden. Wie viele Lichtjahre trennten sie davon? Der Raum, durch den die Astoria zog, war leer – \1nfaßbare Leere. Aber die Leere war kein Nichts. Sie zerfiel in gleißendes Licht und in samtene Schwärze. Sie war spürbar – denn weder das Licht noch die Schwärze hielten dem Blick stand, der sich in ihren unergründlichen Tiefen verlor. Ruths Gedanken sprangen hinüber zu ihrem Mann, der immer wieder in diese Leere aufbrach – gleichsam auf der Suche nach einem verborgenen Mysterium. Auf der Erde, so sehr er sie liebte, hatte es ihn nie lange gehalten. Ein paar Wochen – und er fing an, unruhig zu werden, begann Heimweh zu spüren nach der absoluten Klarheit im Reich der Sterne.
Ein halbes Jahrtausend früher – und Mark hätte zu den Seeleuten gehört, die mit ihren windgetriebenen Schiffen die Weiten der irdischen Ozeane bezwangen.
»Mrs. O’Hara …«
Ruth wandte den Kopf. Der Kellner war an sie herangetreten – mit einem silbernen Tablett in der Hand, auf dem ein Glas Kognak schwebte.
»Eine Empfehlung von Captain Romanow, Mrs. O’Hara. Falls er Ihnen vorhin reichlich kühl erschienen sei, möge Ihnen dieses Glas zum Aufwärmen dienen.«
Ruth brachte ein Lächeln zustande.
»Richten Sie Captain Romanow meinen Dank aus für seine freundliche Geste.«
»Ich werde es nicht verfehlen, Mrs. O’Hara.«
Der Kognak stammte aus der teuersten Flasche und war sündhaft alt. Captain Romanow wußte, was er der Public-Relations-Chefin der VEGA schuldig war. Ein solcher Kognak war genau das, was Ruth brauchte. Während sie ihn trank, spürte sie mit Wohlbehagen, wie er in ihr alle Lebensgeister wieder wachrief.
Als sie den Speisesaal verließ, hatte sie ihr Gleichgewicht zurückgewonnen. Mark junior befand sich bei Mascha Stroganow in guter Obhut, und sie selbst hatte sich vor dem Homaten einen gehörigen Vorsprung gesichert.
Die Informationsbar war leer. Ruth trat ein. Auf der Kartenwand war die Route der Astoria eingeblendet. Ein pulsierender Lichtpunkt kennzeichnete die augenblickliche Position. Wenn man ihn länger betrachtete, konnte man ihn wandern sehen.
Die Astoria war ein schnelles Schiff. Nachdem sie die Gravitation des Erdtrabanten abgeschüttelt hatte, stürmte sie jetzt der Venus entgegen.
Ruth krauste die Stirn.
Die Karte war älteren Datums. Intersolar war immer noch als schraffierte Zone eingetragen, die gemieden werden mußte, als gefährliche Bauruine unter den Sternen. Zum ersten Mal fiel Ruth auf, daß Venus und
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