Weltraumschwimmer
er etwas, für das es keine Worte gab. Es war, als hätte ein inneres Auge sich einem Licht geöffnet, das seine normalen Augen nicht aufnahmen. Ja, er spürte es, es war ein Licht, irgendwie fast wie Musik, eine Vibration, wie der herrliche Ton einer Geige, die in seinem Gehirn, seinem Blut, seinen Knochen erklang.
Je mehr er sich dieses Gefühls bewußt wurde, desto stärker ergriff es ihn. Es wuchs und riß ihn mit sich fort. Er zweifelte nicht daran, daß er sich jetzt mit steigender Geschwindigkeit dahinbewegte – obgleich es keine äußerliche Möglichkeit gab, diese Beschleunigung zu messen. Einen Augenblick verwirrte ihn ein Gefühl der Vertrautheit, als hätte er das gleiche schon früher empfunden. Und dann wußte er, was es war.
Es war dieselbe Art von innerer, unphysischer Empfindung, die Teil seiner Orientierung in der See war – ein Sinn, der ihm über jeden Zweifel sagte, ob er sich nun beispielsweise im Anadyrgolf oder im Labradorbecken befand. Wie dieser und seine anderen, ähnlichen Sinne befähigte ihn dieser, Kräfte, Bewegungen und Richtungen zu erkennen. Im Augenblick war es das Bewußtsein einer Bewegungsentwicklung, die in ungeahnte Entfernungen führte. Aber seine Seesinne waren im Vergleich mit diesem neuen Sinn wie das Tschilpen von Spatzen zu dem Gesang der Nachtigall.
„Dort!“ brüllte Tomi durch das Sprechgerät. „Dort ist einer von ihnen.“
Johnny drehte den Kopf in die angedeutete Richtung. Tatsächlich, so klein wie ein flatterndes Taschentuch am entgegengesetzten Ende eines großen Saales, war die Form eines Raumschwimmers zu erkennen, der im schwachen Sonnenlicht leicht bläulich schimmerte. Johnny drehte sich wieder zu Tomi um, und mußte feststellen, daß der Junge sich nicht mehr vor ihm befand. Er bewegte sich nun in einem Winkel, der ihn genau zu dem Schwimmer bringen mußte.
„Tomi!“ rief Johnny über den Maskenfunk. Er sah, wie der Junge den Kopf drehte und zu ihm zurückblickte. Durch die Eigenheit des merkmallosen Raumes sah es nicht so aus, als entferne er sich von ihm, sondern schrumpfe lediglich, bis er so klein wie Johnnys Hand war. Das Sonnenlicht ließ plötzlich die halbdurchsichtige Magnethülle in allen Regenbogenfarben schillern, und er sah, daß sie leicht wallte wie die Körper der Schwimmer. Vermutlich verursachte das die Strömung, die Johnny durch sich fließen spürte. Er blickte an sich hinunter und stellte fest, daß seine Magnethülle gleichermaßen wogte.
„Wie komme ich dorthin, wo du jetzt bist?“ fragte Johnny.
„Fühle eine andere Straße“, erwiderte Tomis Stimme aus dem Empfänger. „Sie sind überall. Du brauchst nur danach fühlen, dann findest du sie schon.“
Johnny schloß die Augen und gab sich ganz der Empfindung in ihm hin. Eine Weile schien sich nichts zu ändern, doch dann war ihm, als spüre er wieder die Strömung des Ozeans und die tiefe, innere Berührung der See. Einen kurzen Augenblick dauerte es, bis er das, was er suchte, in den Griff bekam – und dann fühlte, sah, er lebte er die Straße, auf der er sich bewegte, wie einen glühenden Streifen, der sich durch den Sternenraum zog. Zuerst war es, als blicke er durch einen engen Tunnel. Doch dann erweiterte er sich, und er sah mehr – nicht nur die singende Straße, der er folgte, sondern alle Kreuzungen und Abzweigungen. Noch mehr erweiterte sich sein Blickfeld. Er befand sich nicht länger in einem ungeheuerlichen Tunnel, sondern in einer immer größer werdenden Kugel. Teile anderer Straßen überkreuzten sich und führten in alle Dimensionen. Ihre Helligkeit war unterschiedlich. Manche glühten stark, manche nur schwach. Und in der Ferne, wo sie in allen Richtungen verschwammen, war etwas wie ein Dunst, der jedoch ebenfalls mit Linien durchzogen war, mit Straßen, die noch weiter führten.
Wieder schien Johnny etwas vertraut. Es war etwas dort – und doch nicht dort – etwas, das er fast verstand …
„Vater!“
Johnnys Aufmerksamkeit war ruckartig wieder auf sei nen Sohn gelenkt. Der Junge war nun näher, direkt über der blauen Form des Schwimmers, in einem Winkel, der unterhalb Johnny vorbeiführte. Beide beschleunigten stark.
„Ich muß mit ihm eintauchen, wenn ich ihn nicht verlieren will, Vater!“ brüllte Tomi. „Er ist einer der Jungen. Er möchte mir etwas zeigen. Es ist schon in Ordnung. Ich komme dann direkt zum Schiff zurück, einverstanden? Vater! In einer Sekunde muß ich eintauchen …“
Johnny zögerte. Tomi und der Schwimmer
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