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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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hast es bereits verstanden. Aber es wäre besser, nicht darüber zu sprechen, außer es überkommt mich wieder wie ein schwarzer Schatten, und dann würde es mich vielleicht erleichtern, wenn ich dir alles erzählte.«
 »Bedrückt es dich noch immer?«
 »Nein. Seit wir zum erstenmal beisammen waren, ist mir, als war es nie passiert. Ich traure um meine Eltern. Aber das wird nie vergehen. Aber ich will dir etwas sagen, was du wissen mußt, für deinen Stolz, wenn ich deine Frau werden soll. Immer habe ich mich gewehrt, und immer mußten es zwei sein oder noch mehr, die mich kränkten. Einer setzte sich immer auf meinen Kopf und hielt mich fest. Ich sage dir das für deinen Stolz.«
 »Mein Stolz bist du. Erzähl es mir nicht.«
 »Nein, ich spreche von deinem eigenen Stolz – daß du stolz sein mußt auf deine Frau. Und dann noch etwas. Mein Vater war Bürgermeister des Dorfes und ein Ehrenmann. Meine Mutter war eine ehrenhafte Frau und eine gute Katholikin, und sie haben sie zusammen mit meinem Vater erschossen, weil mein Vater Republikaner war. Ich habe zugesehen, wie sie beide erschossen wurden, und mein Vater sagte: ›¡ Viva la República!‹, als sie ihn an die Wand des Schlachthauses stellten und erschossen.
 Meine Mutter stand auch an der Wand, sie sagte: › Viva mein Mann, der der Bürgermeister dieses Dorfes war!‹, und ich hoffte, sie würden mich auch erschießen, und ich würde sagen: ›¡Viva la República y vivan mis padres!‹, aber statt dessen haben sie mich nicht erschossen, statt dessen haben sie mir das andere angetan... Hör zu, eine Sache will ich dir erzählen, weil sie uns angeht. Nach den Erschießungen am Matadero schleppten sie uns, die Angehörigen, die zugesehen hatten, aber nicht erschossen wurden, vom Matadero den steilen Berg hinauf zum Hauptplatz des Ortes. Fast alle weinten, aber einige waren ganz starr von dem, was sie mitangesehen hatten, und die Tränen waren ihnen versiegt. Ich selbst konnte nicht weinen. Ich merkte überhaupt nicht, was vorging, denn ich sah immer nur meinen Vater und meine Mutter an der Wand stehen, und meine Mutter sagte: ›Es lebe mein Mann, der der Bürgermeister dieses Dorfes war!‹, und das tönte in meinem Kopf wie ein Schrei, der nicht enden wollte, sondern immer weiter und weiter schrie. Denn meine Mutter war keine Republikanerin, und deshalb sagte sie nicht: ›¡Viva la República!‹, sondern nur › Viva der Vater!‹, der da zu ihren Füßen tot auf dem Gesicht lag.
 Aber das, was sie sagte, das sagte sie sehr laut, daß es wie ein Aufschrei war, und dann erschossen sie sie, und ich versuchte mich aus der Reihe loszureißen, um zu ihr hinzulaufen, aber wir waren alle festgebunden. Die Erschießungen wurden von der guardia civil vorgenommen, und sie standen noch da und warteten auf weitere Opfer, da trieben die Falangisten uns weg und den Hügel hinauf und ließen die guardias civiles stehen, auf die Gewehre gelehnt, und die Leichen blieben an der Wand liegen. Wir waren an den Handgelenken festgebunden, eine lange Kette von Mädchen und Frauen, und sie trieben uns den Berg hinauf und durch die Straßen zum Platz, und auf dem Platz machten sie vor dem Friseurladen halt, der gegenüber dem Rathaus lag.
 Dann sahen die beiden Männer uns an, und der eine sagte: ›Das ist die Tochter des Bürgermeisters‹, und der andere sagte: ›Fang bei ihr an!‹
 Dann schnitten sie die Stricke durch, die mich an den Handgelenken festbanden, einer sagte zu einigen anderen: ›Macht die Reihe wieder fest!‹, und diese beiden nahmen mich bei den Armen und zerrten mich in den Friseurladen und hoben mich hoch und setzten mich auf den Friseurstuhl und hielten mich fest. Ich sah mein Gesicht in dem großen Spiegel und die Gesichter der beiden, die mich festhielten, und die Gesichter von drei anderen, die sich über mich beugten, und ich kannte ihre Gesichter nicht, aber im Spiegel sah ich mich und sie, aber sie sahen nur mich. Und es war, wie wenn man beim Zahnarzt sitzt, und es sind viele Zahnärzte da, und alle sind sie verrückt. Mein eigenes Gesicht konnte ich kaum wiedererkennen, weil es sich vor Kummer ganz verändert hatte, aber ich sah es an und wußte, daß ich das war. Aber mein Kummer war so groß, daß ich gar keine Angst hatte und gar nichts fühlte außer meinem Kummer.
 Damals trug ich mein Haar in zwei Zöpfen, und während ich in den Spiegel schaute, nahm einer der Männer den einen Zopf und riß daran, daß es mir trotz meines

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