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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Und Pilar hat den ganzen Tag lang geschwindelt. Ja. Und wenn sie morgen alle zugrunde gehen? Was spielt das für eine Rolle, wenn sie nur die Brücke richtig sprengen? Das ist alles, was sie morgen zu tun haben.
 Es spielt keine Rolle. So was kann man nicht ewig fortsetzen. Aber es behauptet auch niemand, daß du ewig leben sollst. Vielleicht, dachte er, habe ich mein ganzes Leben in drei Tagen durchlebt. Wenn das stimmt, dann tut es mir leid, daß wir die letzte Nacht nicht anders verbracht haben. Aber letzte Nächte taugen nie etwas. Nichts Letztes taugt etwas. Ja, letzte Worte taugen zuweilen etwas: » Viva mein Mann, der der Bürgermeister dieses Städtchens war.« Das ist gut.
 Er wußte, daß es gut war, denn ein Rieseln lief über seinen Körper, wenn er es vor sich hin sagte. Er beugte sich vor und küßte Maria. Sie erwachte nicht. Auf englisch flüsterte er ganz leise: »Ich möchte dich gerne heiraten, Häschen. Ich bin sehr stolz auf deine Familie.«
 
  XXXII
 
 In dieser selben Nacht befanden sich in Madrid eine Menge Leute im Hotel Gaylord. Ein Auto fuhr vor dem Portal vor, die Scheinwerfer mit blauem Kalk übertüncht, und ein kleiner Mann in schwarzen Reitstiefeln, grauer Reithose und kurzer grauer, hochgeschlossener Jacke stieg aus, erwiderte, während er die Tür aufmachte, den Gruß der beiden Wachtposten, nickte dem Geheimpolizisten zu, der in der Portierloge saß, und betrat den Lift. Innerhalb der Tür, an beiden Seiten des mit Marmor getäfelten Vestibüls, saßen zwei Wachtposten, und sie blickten nur kurz auf, als der kleine Mann an ihnen vorbei zu der Tür des Lifts ging. Ihre Aufgabe war es, jeden, den sie nicht kannten, an den Hüften, unter den Achseln und an der Seite abzutasten, um zu sehen, ob er nicht eine Pistole bei sich habe und, falls er eine bei sich hatte, sie beim Portier zu hinterlegen. Aber den kleinen Mann in Reitstiefeln kannten sie sehr gut, und sie blickten kaum auf, als er vorüberging.
 Die Räume, die er im Gaylord bewohnte, waren, als er eintrat, voller Menschen. Alle möglichen Leute saßen und standen umher und plauderten miteinander wie in einem Salon, und die Männer und Frauen tranken Wodka, Whisky-Soda und Bier aus kleinen Gläsern, die aus großen Krügen gefüllt wurden. Vier der Männer waren in Uniform, die anderen trugen Windjacken oder Lederjacken, und drei von den vier anwesenden Frauen hatten gewöhnliche Straßenkleider an, während die vierte, die sehr hager und dunkelhäutig war, eine Art strenggeschnittener Milizuniform trug, mit hohen Stiefeln unter dem Rock.
 Als Karkow ins Zimmer kam, ging er sofort auf die uniformierte Frau zu, verbeugte sich vor ihr und reichte ihr die Hand. Sie war seine Frau, und er sagte auf russisch etwas zu ihr, das die anderen nicht hören konnten, und einen Moment lang verschwand die hochmütige Unverschämtheit, die in seinen Blicken gelegen hatte, als er ins Zimmer kam. Dann flammte sie wieder auf, als er die mahagonifarbenen Haare und das reizend träge Gesicht des gutgebauten Mädchens erblickte, die seine Geliebte war, er ging mit kurzen, präzisen Schritten zu ihr hin, verbeugte sich und schüttelte ihr die Hand, so höflich, daß niemand hätte sagen können, es sei nicht eine Imitation der Höflichkeiten, mit denen er seine Frau begrüßt hatte. Seine Frau hatte ihm nicht nachgeblickt, während er durch das Zimmer ging. Sie stand neben einem hochgewachsenen, gutaussehenden spanischen Offizier, und sie sprachen jetzt Russisch miteinander. »Deine große Liebe wird ein bißchen fett«, sagte Karkow zu dem Mädchen. »Wir nähern uns jetzt dem zweiten Kriegsjahr, und da werden alle unsere Helden fett.« Er sah nicht zu dem Mann hin, von dem er sprach.
 »Du bist so häßlich, du würdest selbst auf eine Kröte eifersüchtig sein«, sagte das Mädchen heiter. Sie sprach Deutsch. »Darf ich morgen an die Front mitkommen? Wenn die Offensive beginnt?«
 »Nein. Und von einer Offensive ist nicht die Rede.«
 »Alle Leute wissen davon«, sagte das Mädchen. »Tu nicht so geheimnisvoll. Dolores geht auch. Ich werde mit ihr oder mit Carmen gehen. Eine Menge Leute gehen mit.«
 »Sieh zu, ob dich jemand mitnimmt«, sagte Karkow. »Ich nehme dich nicht mit.«
 Dann fragte er in ernstem Ton: »Wer hat dir davon erzählt? Ich will das ganz genau wissen.«
 »Richard«, erwiderte sie in ebenso ernstem Ton.
 Karkow zuckte die Achseln und ließ sie stehen.
 »Karkow!« rief mit galliger Stimme ein mittelgroßer

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