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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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altes Hotel, und daß man abends lesen kann und sich entspannen, alles, was ihm einmal Freude gemacht und was er vergessen hatte und was ihm wieder einfiel, wenn er von diesem trüben, bitteren, die Zunge lähmenden, Hirn und Magen wärmenden, die Gedanken ablenkenden Alchimistentrunk kostete. Der Zigeuner verzog das Gesicht und reichte die Tasse zurück. »Es riecht nach Anis, aber es ist bitter wie Galle«, sagte er. »Lieber krank sein, als diese Medizin nehmen.«
 »Das ist der Wermut«, sagte Robert Jordan. »Der echte Absinth enthält Wermut. Man sagt, er erzeugt Gehirnfäule, aber das glaube ich nicht. Man kommt bloß auf andere Gedanken. Eigentlich soll man ganz langsam das Wasser in den Absinth gießen, tropfenweise. Ich aber habe den Absinth ins Wasser gegossen.«
 »Was sagst du da?« fragte Pablo ärgerlich. Er fühlte den Spott.
 »Ich beschreibe die Medizin«, erwiderte Robert Jordan grinsend. »Ich habe sie in Madrid gekauft. Es war die letzte Flasche, und sie hat nun schon drei Wochen gereicht.« Er nahm einen großen Schluck und fühlte, wie die Flüssigkeit köstlich betäubend über seine Zunge rann. Er blickte Pablo an und grinste abermals.
 »Wie stehen die Geschäfte?« fragte er.
 Pablo gab keine Antwort, und Robert Jordan betrachtete aufmerksam die drei anderen Männer am Tisch. Der eine hatte ein breites, plattes Gesicht, platt und braun wie ein SerranoSchinken, mit einer abgeplatteten und gebrochenen Nase, und die lange, dünne russische Zigarette, die schief in seinem Mundwinkel hing, ließ das Gesicht noch platter erscheinen. Dieser Mann hatte kurzgeschnittenes graues Haar und einen grauen Stoppelbart, und er trug den üblichen schwarzen, am Hals zugeknöpften Kittel. Als Robert Jordan ihn ansah, senkte er den Blick, aber sein Blick war fest, und er zuckte nicht mit den Wimpern. Die beiden anderen waren offenbar Brüder. Sie sahen einander sehr ähnlich und waren beide untersetzt, stämmig, schwarzhaarig, das Haar tief in die Stirn gewachsen, dunkeläugig und braungebrannt. Der eine hatte über dem linken Auge quer über die Stirn eine Narbe, und als Robert Jordan die beiden ansah, erwiderten sie ruhig seinen Blick. Den einen schätzte er auf etwa sechs-bis achtundzwanzig, der andere mochte zwei Jahre älter sein. »Was schaust du so?« fragte der mit der Narbe.
 »Ich schaue dich an«, sagte Robert Jordan.
 »Siehst du was Besonderes an mir?«
 »Nein«, sagte Robert Jordan. »Zigarette?«
 »Warum nicht?« sagte der Mann. Er hatte zuvor keine Zigarette genommen. »Das sind solche, wie sie der andere hatte. Der am Zug.«
 »Warst du mit dabei?«
 »Wir waren alle mit dabei«, erwiderte der Mann gelassen. »Alle, bis auf den Alten.«
 »Und so etwas sollten wir uns jetzt wieder vornehmen«, sagte Pablo. »Einen Zug!«
 »Warum nicht?« sagte Robert Jordan. »Nach der Brücke.«
 Er merkte jetzt, daß Pablos Weib sich vom Herdfeuer abgewendet hatte und zuhörte. Als das Wort »Brücke« fiel, schwiegen alle.
 »Nach der Brücke«, wiederholte er absichtlich und nahm einen Schluck Absinth. Warum nicht gleich damit anfangen? dachte er. Es läßt sich doch nicht umgehen. »Ich will mit der Brücke nichts zu tun haben«, sagte Pablo mit gesenktem Blick. »Weder ich noch meine Leute.«
 Robert Jordan sagte nichts. Er sah Anselmo an und hob die Tasse. »Dann machen wir's alleine, Alter«, sagte er lächelnd.
 »Ohne diesen Feigling«, sagte Anselmo.
 »Was hast du gesagt?« sagte Pablo zu dem Alten.
 »Zu dir gar nichts. Ich habe nicht mit dir geredet.«
 Robert Jordans Blick wanderte nun am Tisch vorbei zu Pablos Frau, die neben dem Herd stand. Sie hatte bisher kein Wort geredet und auf nichts reagiert. Jetzt aber sagte sie zu dem Mädchen ein paar Worte, die er nicht hören konnte, und das Mädchen erhob sich vom Herdfeuer, glitt die Wand entlang, lüftete die Decke, die vor dem Eingang der Höhle hing, und ging hinaus. Ich glaube, jetzt geht's los, dachte Robert Jordan. Ich glaube, jetzt haben wir's. Ich wollte es so nicht haben, aber so scheint es nun mal zu sein.
 »Dann werden wir die Brücke ohne deine Hilfe erledigen«, sagte Robert Jordan zu Pablo.
 »Nein«, erwiderte Pablo, und Robert Jordan sah die Schweißtropfen auf seiner Stirn. »Du wirst mir hier keine Brücke sprengen.«
 »Nein?«
 »Du wirst mir keine Brücke sprengen«, wiederholte Pablo mit Nachdruck.
 »Und du?« Robert Jordan sprach zu Pablos Weib, die still und mächtig neben dem Feuer stand. Sie

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