Wem die Stunde schlaegt
Besuch am Krankenlager. »Hallo, alter Freund, hallo!« rief sie mit ihrer dröhnenden Stimme. Dann imitierte sie das leise Geflüster des verwundeten Stierkämpfers: »Buenas, compadre. Wie geht's, Pilar?« Mit ihrer natürlichen Stimme: »Wie ist denn das passiert, Finito, Chico, wie ist dir denn dieser scheußliche Unfall passiert?« Dann mit leiser, schwacher Stimme: »Es ist weiter nichts, Weib. Pilar, es ist nichts. Es hätte nicht passieren dürfen. Ich habe ihn sehr schön getötet, verstehst du. Keiner hätte ihn schöner töten können. Dann, als ich ihn getötet hatte, genau wie sich's gehörte, und er war richtig tot, da wackelte er auf den Beinen und wäre gleich von seinem eigenen Gewicht hingefallen, da ging ich von ihm weg, mit einem bißchen Arroganz und viel Haltung, und da stößt er mir von hinten das Horn zwischen die Hinterbacken, daß es bei der Leber wieder rauskommt.« Sie begann zu lachen, hörte auf, die fast weichliche Stimme des Stierkämpfers zu imitieren, und fuhr mit ihrer dröhnenden Stimme fort: »Du mit deiner Sicherheit! Habe ich neun Jahre lang mit drei von den schlechtest bezahlten Matadoren der Welt gelebt, um nicht zu wissen, was Furcht ist und was Sicherheit? Sprich, wovon du willst, nur nicht von Sicherheit. Und du! Was für Illusionen ich mir über dich gemacht habe, und was aus ihnen geworden ist! Nach einem Jahr Krieg bist du ein Faulenzer geworden, ein Säufer und ein Feigling.« »Du hast kein Recht, so zu sprechen«, sagte Pablo. »Und schon gar nicht vor den Le uten und einem Fremden.«
»Ich will so sprechen«, sagte Pablos Weib. »Hast du mich gehört? Glaubst du immer noch, daß du hier befiehlst?«
»Ja«, sagte Pablo. »Hier befehle ich.«
»Nicht mal im Scherz!« sagte die Frau. »Hier befehle ich! Hast du nicht la gente gehört? Hier befiehlt keiner außer mir. Du kannst bleiben, wenn du willst, und mitessen und mittrinken, aber nicht so verdammt viel, du kannst mitarbeiten, wenn du willst. Aber befehlen tue ich.«
»Ich sollte dich und den Fremden übern Haufen schießen, euch alle beide«, sagte Pablo mürrisch.
»Versuch's«, sagte die Frau. »Du wirst ja sehen, was dann geschieht.«
»Kann ich eine Tasse Wasser haben?« sagte Robert Jordan. Er wandte kein Auge von dem Mann mit dem finsteren, fleischigen Gesicht und von der Frau, die in stolzer Haltung dastand und den großen Löffel so gebieterisch in Händen hielt, als wär's ein Marschallstab.
»Maria«, rief Pablos Weib, und als das Mädchen im Eingang erschien, »Wasser für diesen Genossen.«
Robert Jordan griff nach der Hüfttasche, und indem er sie hervorholte, lockerte er die Pistole im Futteral und schwenkte das Futteral mit einem Ruck auf den linken Schenkel. Dann goß er einen zweiten Absinth in seine Tasse, nahm die Tasse mit Wasser, die das Mädchen ihm brachte, und träufelte das Wasser in den Absinth, immer nur ganz wenig. Das Mädchen stand neben ihm und schaute zu.
»Hinaus!« sagte Pablos Weib zu ihr, mit dem Löffel deutend. »Es ist kalt draußen«, sagte das Mädchen. Ihre Wange war dicht an Robert Jordans Wange, sie beobachtete, was in der Tasse vorging, wie die Flüssigkeit sich trübte.
»Vielleicht«, sagte Pablos Weib. »Aber hier drin ist es zu heiß.« Dann fügte sie freundlich hinzu: »Es ist nicht für lange.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und ging hinaus.
Ich glaube nicht, daß er sich das noch lange gefallen läßt, dachte Robert Jordan. In der einen Hand hielt er die Tasse, die andere ruhte, gar nicht heimlich mehr, auf der Pistole. Er hatte die Waffe entsichert, und tröstlich war die altgewohnte Berührung mit dem fast glattgescheuerten, gerippten Griff, tröstlich die runde, kühle Kameradschaft des Abzugsbügels. Pablo starrte nur noch seine Frau an. Sie fuhr fort: »Schau mich an, du Säufer! Du weißt jetzt, wer hier befiehlt?«
»Ich befehle.«
»Nein. Hör zu. Nimm das Wachs aus deinen haarigen Ohren. Hör gut zu. Ich befehle.«
Pablo sah sie an, und seine Miene verriet nicht, was er dachte. Er sah sie sehr bedachtsam an, und dann wanderte sein Blick über den Tisch weg zu Robert Jordan. Lange betrachtete er ihn, sehr nachdenklich, dann kehrte sein Blick wieder zu der Frau zurück.
»Gut. Du befiehlst«, sagte er. »Und wenn du willst, kann auch er befehlen. Und ihr könnt beide zum Teufel gehen.« Er schaute ihr voll ins Gesicht. Er schien sich weder ducken zu wollen noch schien er sonderlich berührt zu sein. »Möglich, daß
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