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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Pergament und seine Augen hatten dunkle Ringe und waren kaum zu erkennen, wie immer im Dunkeln. Wie gewohnt hatte er irgendwelchen Schmutz im Gesicht.
    Ronan war so angespannt, dass er zu platzen drohte. »Dein Zimmer war leer. Ich habe gerade reingeguckt.«
    »Ich habe es euch gesagt«, erklärte Noah. »Ich hab es allen gesagt.«
    Adam musste für ein paar Sekunden die Augen schließen.
    Gansey hingegen wirkte, als hätte er sich endlich wieder unter Kontrolle. Das war es, was er vom Leben brauchte: Fakten. Etwas, das er in sein Notizbuch schreiben konnte, etwas, das er wiederholen und unterstreichen konnte, egal, wie unwahrscheinlich es war. Adam wurde klar, dass Gansey die ganze Zeit nicht gewusst hatte, was er vorfinden würde, als er Adam hierhergeholt hatte. Wie auch? Wie hätte irgendjemand wirklich glauben sollen …
    »Er ist tot«, sagte Gansey. Seine Arme waren fest über seiner Brust verschränkt. »Du bist tatsächlich tot, stimmt’s?«
    Noahs Stimme klang anklagend. »Das habe ich euch doch gesagt.«
    Sie starrten ihn an, wie er dort kaum einen Meter vor Ronan stand. Und ja, dachte Adam, er wirkte so viel weniger real als Ronan – es hätte offensichtlich sein müssen. Es war absurd, dass sie es nicht bemerkt hatten. Lächerlich, dass sie nie nach seinem Nachnamen gefragt hatten oder woher er kam oder nach den Unterrichtsstunden, zu denen er ging oder nicht ging. Seine eiskalten Hände, sein unberührtes Zimmer, sein ewig schmuddeliges Gesicht. Seit sie ihn kannten, war er tot gewesen.
    Die Realität brach unter Adam zusammen wie eine Brücke.
    »Scheiße, Mann«, sagte Ronan schließlich. Es klang verzweifelt. »Diese ganzen Nächte, in denen du rumgemeckert hast, dass ich dich wachhalten würde, dabei brauchst du gar keinen Schlaf.«
    »Wie bist du gestorben?«, fragte Adam kaum hörbar.
    Noah wandte das Gesicht ab.
    »Nein«, sagte Gansey und dieses einzige Wort strotzte vor Entschlusskraft. »Das ist hier nicht die Frage, stimmt’s? Die Frage ist: Wer hat dich umgebracht?«
    Jetzt stahl sich dieser zurückgezogene Ausdruck auf Noahs Gesicht, den es immer dann annahm, wenn er sich unwohl fühlte. Sein Kinn senkte sich, seine Augen wirkten fremd unter den schweren Lidern. Mit einem Mal war sich Adam zutiefst bewusst, dass Noah ein totes Wesen war und er nicht.
    »Wenn du es mir sagen kannst«, sagte Gansey, »finde ich sicher einen Weg, die Polizei auf die richtige Fährte zu bringen.«
    Noahs Kinn senkte sich noch mehr, seine Züge verfinsterten sich, bis sie regelrecht schwarz wirkten. Die Augenhöhlen waren leer und schädelartig. Was sahen sie hier vor sich – einen Jungen? Oder etwas, das lediglich aussah wie ein Junge?
    »Dräng ihn nicht, Gansey«, hätte Adam am liebsten gesagt.
    Chainsaw begann in Ronans Händen zu krähen. Schrille, verzweifelte Schreie, die die Stille zerrissen. Es war, als gäbe es auf der Welt nichts mehr außer diesen elenden Lauten, dabei schien es unglaublich, dass ein so kleiner Körper einen solchen Lärm verursachen konnte.
    Noah hob den Kopf, die Augen nun weit geöffnet und wieder normal. Er wirkte verängstigt.
    Ronan legte die Hand über Chainsaws Kopf, bis sie verstummte.
    Noah sagte: »Ich will nicht darüber reden.«
    Er hatte die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen und sah jetzt wieder aus wie der Noah, den sie kannten. Der Noah, von dem sie nie angezweifelt hatten, dass er zu ihnen gehörte.
    Zu den Lebenden .
    »Okay«, sagte Gansey. Und dann noch einmal: »Okay. Was würdest du denn gerne unternehmen?«
    »Ich würde gern …«, setzte Noah an, brach dann jedoch wie so oft ab und begann, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Hatte Noah das auch schon so gemacht, als er noch lebte, fragte Adam sich, oder passierte so etwas, wenn man tot war und versuchte, ein normales Gespräch zu führen?
    Ronan und Adam sahen beide gleichzeitig Gansey an. Es schien einfach nichts zu geben, was man hätte sagen oder tun können. Selbst Ronan wirkte gebändigt, seine sonst so spitzen Stacheln eingezogen. Solange sie sich nicht sicher sein konnten, wie die neuen Regeln lauteten, schien selbst er nicht darauf versessen zu sein herauszufinden, wie jenseitig Noah werden konnte, wenn man ihn dazu trieb.
    Gansey wandte den Blick von den anderen ab und fragte: »Noah?«
    Die Tür zu Noahs Zimmer war leer.
    Ronan, der der Tür am nächsten stand, stieß sie ganz auf. Der Raum war kahl und unberührt, es war offensichtlich, dass in dem Bett nie jemand geschlafen

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