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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Armen.«
    Irgendwie war es ihm gelungen, sie mitzunehmen in diesen Moment der Erkenntnis. Blues Herz schien nach unten zu sacken, gelähmt vor Gift.
    »Was hast du gemacht?«, fragte sie.
    »Ich wusste, dass ich tot war. Ich wusste, dass ich tot war, bevor ich auch nur fühlte, wie in meinem Körper alles zu versagen begann. Schließlich war ich schon wegen eines einzigen Stichs im Krankenhaus gewesen und diesmal waren es an die hundert. Die Biester saßen in meinen Haaren. Sie sind mir sogar in die Ohren gekrochen.«
    »Hattest du große Angst?«, fragte sie.
    Er musste nicht antworten. Sie sah es an der Leere in seinen Augen.
    »Was ist dann passiert?«
    »Ich bin gestorben«, sagte er. »Ich habe gefühlt, wie mein Herz stehen blieb. Den Hornissen war das egal. Sie haben mich einfach weitergestochen, obwohl ich längst tot war.«
    Gansey hielt inne. Er sagte: »Jetzt kommt der schwierige Teil.«
    »Die mag ich am liebsten«, erwiderte Blue. Die Bäume um sie waren ruhig, nur das Grollen des Donners war zu hören. Nach einer Pause fügte sie ein wenig verschämt hinzu: »Tut mir leid. Ich wollte nicht … Aber irgendwie ist mein ganzes Leben ›der schwierige Teil‹. Niemand glaubt an das, womit meine Familie ihr Geld verdient. Ich lache bestimmt nicht.«
    Er atmete langsam aus. »Ich habe eine Stimme gehört, ein Flüstern. Ich vergesse nie, was sie gesagt hat: ›Du wirst weiterleben, für Glendower. Jemand auf der Ley-Linie wird sterben, dem es bestimmt war zu leben, und so wirst du leben, dem es bestimmt war zu sterben.‹«
    Blue war sehr still. Die Luft schien von allen Seiten auf sie einzupressen.
    »Ich hab es Helen erzählt. Sie meinte, das wäre nur eine Halluzination gewesen.« Gansey strich sich eine herabhängende Ranke aus dem Gesicht. Das Unterholz wurde langsam dichter und die Bäume standen enger zusammen. Wahrscheinlich würden sie bald umkehren müssen. Seine Stimme klang eigenartig. So sachlich und entschlossen. »Es war keine Halluzination.«
    Dies war der Gansey, den sie von dem Notizbuch kannte. Die Wahrhaftigkeit seiner Erzählung, ihre Magie, zog sie in ihren Bann.
    Blue fragte: »Und darum hast du beschlossen, dein ganzes Leben mit der Suche nach Glendower zu verbringen?«
    »Wie hätte Artus nicht nach dem Heiligen Gral suchen können, nachdem er wusste, dass er existiert?«, entgegnete Gansey.
    Wieder grollte der Donner unter ihren Füßen; es klang wie das hungrige Knurren einer unsichtbaren Bestie.
    »Das war keine Antwort«, sagte Blue.
    Er sah sie nicht an. Seine Stimme klang beinahe Furcht einflößend, als er sagte: »Ich muss es tun, Blue.«
    Jedes einzelne Licht am Messgerät verlosch.
    Erleichtert, sich wieder auf sicherem Boden zu befinden, und gleichzeitig enttäuscht, nicht weiter zum Kern des wahren Gansey vordringen zu können, tippte Blue das Gerät an. »Sind wir von der Linie abgekommen?«
    Sie gingen ein paar Meter zurück, doch es sprang nicht wieder an.
    »Ist vielleicht die Batterie leer?«, riet sie.
    »Ich weiß nicht, wie wir das überprüfen sollen.« Gansey schaltete es ein und wieder aus.
    Blue streckte die Hand nach dem Gerät aus. In dem Moment, als sie danach griff, leuchteten die Lichter rot auf. Und blieben an, ohne zu blinken. Sie drehte sich hin und her. Orange auf der linken, rot auf der rechten Seite.
    Ihre Blicke trafen sich.
    »Nimm du es wieder«, sagte Blue.
    Doch sobald Gansey das Messgerät berührte, gingen die Lichter erneut aus. Der nächste Donner, schwelend und betörend, schien etwas in ihr zum Schwingen zu bringen, das nicht endete, selbst nachdem das Geräusch verklungen war.
    »Ich denke immer noch, dass es dafür eine logische Erklärung geben muss«, sagte Gansey. »Aber ich finde keine.«
    Blue dachte auch, dass es eine logische Erklärung gab, und zwar folgende: Blue machte die Dinge lauter. Nur dass sie diesmal keine Ahnung hatte, was genau es war, das sie verstärkte.
    Die Luft erzitterte, als der Donner erneut losrumpelte. Von der Sonne war nichts mehr zu sehen. Alles, was blieb, war die schwere grüne Luft um sie.
    »Wohin führt es uns?«, fragte er.
    Blue ließ sich von dem stetig leuchtenden roten Licht den Weg durch die Bäume weisen und stapfte zögerlich voran. Sie waren erst ein paar Meter weit gekommen, als das Gerät sich abermals ausschaltete. Egal, wie oft sie es diesmal hin- und herreichten oder auf den Knöpfen herumdrückten, sie entlockten ihm kein einziges müdes Flackern mehr.
    So standen sie da, das Gerät

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