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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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dessen bewusst. Sie merkten, wenn sie etwas Seltsames sagten. Über einen solchen Filter schien Neeve nicht zu verfügen.
    Schließlich antwortete sie: »Er war schon lange tot.«
    Neeve zuckte mit den Schultern. »Wenn es vollendet ist, wird er nicht der Einzige bleiben.«
    Blue wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie schüttelte nur langsam den Kopf.
    »Ich will dich bloß warnen«, sagte Neeve. »Nehmt euch in Acht vor dem Teufel. Wo es einen Gott gibt, lauern auch Legionen von Teufeln.«

31
    Z um ersten Mal war Adam nicht froh darüber, schulfrei zu haben. Da an diesem Freitag eine Lehrerkonferenz stattfand, war Gansey widerstrebend zu seinen Eltern aufgebrochen, um den Geburtstag seiner Mutter nachzufeiern, Ronan hatte sich in seinem Zimmer verschanzt und ließ sich volllaufen und Adam saß in Ganseys Abwesenheit an dessen Schreibtisch und lernte. An der öffentlichen Schule fand zwar ganz normal Unterricht statt, aber es bestand ja immer noch die Hoffnung, dass Blue hinterher vorbeikam.
    Die Wohnung wirkte bedrückend, wenn niemand sonst im Hauptraum war. Am liebsten hätte Adam Ronan aus seinem Zimmer gelockt, damit er ihm Gesellschaft leistete, aber im Grunde war ihm klar, dass Ronan auf diese unschöne, wortlose Weise um Noah trauerte. Also blieb Adam an Ganseys Schreibtisch sitzen und kritzelte an seinen Lateinhausaufgaben herum. Es kam ihm so vor, als erhellte das Licht, das durch die Fenster fiel, die Bodendielen nicht so stark wie sonst. Die Schatten wandelten sich, klammerten sich fest. Adam roch die Minzepflanze auf Ganseys Schreibtisch, doch gleichzeitig auch Noahs Geruch – diese Kombination aus Deo, Seife und Schweiß.
    »Noah«, sagte Adam laut in die leere Wohnung hinein. »Bist du da? Oder bist du unterwegs und spukst Gansey hinterher?«
    Keine Reaktion.
    Er blickte in sein Heft hinunter. Die lateinischen Verben sahen unsinnig aus, wie eine Nonsenssprache. »Können wir das nicht irgendwie wieder hinkriegen, Noah? Rückgängig machen, was dich so hat werden lassen, damit du wieder bist wie früher?«
    Adam zuckte zusammen, als es direkt neben dem Schreibtisch krachte. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass Ganseys Minze zu Boden gefegt worden war. Ein einziges, dreieckiges Stück war aus dem Tontopf herausgebrochen und lag neben einer dünnen Schicht Blumenerde.
    »Das hilft uns auch nicht weiter«, rügte Adam beherrscht. Innerlich aber war er erschüttert. Außerdem hatte er keine Ahnung, was stattdessen helfen würde. Nachdem er zusammen mit Blue über Noahs Skelett gestolpert war, hatte Gansey bei der Polizei angerufen, um mehr herauszufinden, aber viel hatten sie nicht erfahren – nur dass Noah seit sieben Jahren als vermisst galt. Wie immer hatte Adam zu Verschwiegenheit geraten und diesmal hatte Gansey auf ihn gehört und der Polizei nichts davon erzählt, dass sie auch den Mustang gefunden hatten. Der Wagen würde die Ermittler nach Cabeswater führen und das wäre einfach zu kompliziert, zu viel Öffentlichkeit.
    Als es an der Tür klopfte, antwortete Adam nicht sofort, weil er dachte, es wäre wieder Noah. Dann aber klopfte es erneut und diesmal ertönte Declans Stimme: »Gansey!«
    Seufzend erhob sich Adam und stellte den Minzetopf zurück auf den Tisch, bevor er die Tür öffnete. Draußen stand Declan, der diesmal weder seine Aglionby-Uniform noch seinen Praktikantenanzug trug. In Jeans, selbst wenn sie makellos dunkelblau und teuer waren, wirkte er wie ein völlig anderer Mensch. Und jünger, als er Adam normalerweise erschien.
    »Declan. Hi.«
    »Wo ist Gansey?«, wollte Declan wissen.
    »Nicht hier.«
    »Ach, komm.«
    Adam ließ sich nicht gern als Lügner hinstellen. Er hatte für gewöhnlich bessere Methoden, um zu bekommen, was er wollte. »Er ist nach Hause gefahren, seine Mutter feiert Geburtstag.«
    »Wo ist mein Bruder?«
    »Nicht hier.«
    »Jetzt lügst du aber.«
    Adam zuckte mit den Schultern. »Stimmt.«
    Declan wollte sich an ihm vorbeidrängeln, aber Adam streckte den Arm aus und blockierte die Tür. »Das ist gerade kein guter Zeitpunkt. Außerdem hat Gansey gesagt, es wäre nicht so klug, wenn ihr zwei in seiner Abwesenheit miteinander redet. Und damit hat er vermutlich auch recht.«
    Declan wich nicht zurück. Seine Brust presste sich gegen Adams Arm. Adam wusste nur eins: Declan durfte jetzt auf keinen Fall zu Ronan. Nicht, wenn Ronan getrunken hatte, nicht, wenn Declan ohnehin schon wütend war. Ohne Gansey würde das mit Mord und Totschlag enden.

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