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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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kleine Rabendame legte ihren riesigen Kopf zurück und beäugte erst Blue, dann Adam mit geöffnetem Schnabel.
    »Wie heißt sie?«, fragte Blue. Sie in den Händen zu halten, dieses winzige, zarte Leben, war beängstigend und wunderbar. Ihr Puls pochte hektisch an Blues Haut.
    »Chainsaw«, antwortete Adam in vernichtendem Tonfall.
    Der Rabe öffnete den Schnabel ein Stück weiter und starrte noch eindringlicher als zuvor.
    »Sie will wieder zu dir«, sagte Blue, denn das war ganz klar der Fall. Ronan nahm den Vogel zurück und strich ihm die Federn am Hinterkopf glatt.
    »Du siehst aus wie ein Superschurke mit seiner weißen Katze«, bemerkte Adam.
    Ronans Lächeln erschien schmal wie ein Messerschnitt in seinem Gesicht, doch er wirkte menschlicher, als Blue ihn je erlebt hatte – so als wäre der Rabe in seiner Hand sein Herz, das er nun der Welt präsentierte.
    Sie hörten, wie sich am anderen Ende des Raums eine Tür öffnete. Adam und Blue sahen einander an. Ronan zog den Kopf ein, fast unmerklich, als erwartete er einen Schlag.
    Niemand sagte etwas, als Noah sich in der Lücke zwischen Ronan und Blue niederließ. Er sah genauso aus, wie Blue ihn in Erinnerung hatte: die Schultern nach vorn gekrümmt, die Hände stets in rastloser Bewegung. Der ewige Schmutzfleck auf seiner Wange war jetzt deutlich als die Stelle zu erkennen, an der ihm der Schädel eingeschlagen worden war. Je länger sie ihn anstarrte, desto klarer wurde ihr, dass sie seinen toten und seinen lebendigen Körper zugleich vor sich sah. Der Schmutzfleck war die Methode, mit der ihr Gehirn beides übereinbrachte.
    Adam war der Erste, der sprach.
    »Noah«, sagte er und hob die Faust.
    Nach einem Augenblick stieß Noah seine dagegen. Dann rieb er sich verlegen den Nacken.
    »Mir geht’s wieder besser«, sagte er, als wäre er krank gewesen und nicht tot. Noch immer lag der Inhalt der Kiste zwischen ihnen auf dem Boden verstreut und er fing an, die Sachen zu sortieren. Er hob etwas auf, das aussah wie ein zurechtgeschnitztes Stück Knochen. Früher musste sich ein größeres Muster darauf befunden haben, jetzt aber waren nur noch der Rand eines Bärenklaublattes und ein paar erhabene Schnörkel zu erkennen. Noah hielt es sich an den Hals wie ein Amulett. Er sah die anderen beiden Jungs nicht an, aber sein Knie berührte das von Blue.
    »Ich will nur, dass ihr das wisst«, sagte Noah und drückte sich das Knochenstück fest an die Kehle, als könnte er so die Worte aus sich herauspressen. »Als ich noch gelebt habe, da war ich … irgendwie mehr.«
    Adam kaute um eine Antwort verlegen an seiner Unterlippe. Blue jedoch glaubte zu verstehen, was Noah meinte. Er sah dem schief lächelnden Jungen auf dem Führerschein, den Gansey gefunden hatte, in etwa so ähnlich wie eine Fotokopie einem Originalgemälde. Sie konnte sich den Noah, den sie kannte, nicht in diesem aufgemotzten Mustang vorstellen.
    »Du bist auch jetzt noch genug«, sagte Blue. »Ich habe dich vermisst.«
    Mit einem schwachen Lächeln streckte Noah die Hand aus und betastete zaghaft Blues Haar, wie er es immer getan hatte. Sie konnte seine Finger kaum spüren.
    »Hey, Mann«, sagte Ronan. »Wie oft du dich geweigert hast, mich deine Unterrichtsnotizen abschreiben zu lassen. Du hast immer gesagt, ich soll gefälligst selber hingehen, dabei warst du einfach nie da.«
    »Aber früher schon, stimmt’s, Noah?«, unterbrach ihn Blue, der der Aglionby-Aufnäher bei seiner Leiche wieder eingefallen war. »Du warst selbst ein Schüler der Aglionby Academy.«
    »Bin ich immer noch«, beharrte Noah.
    »Gar nicht«, sagte Ronan. »Du gehst doch nie zum Unterricht.«
    »Du auch nicht«, gab Noah zurück.
    »Tja, und darum heißt es bald auch für ihn ›Es war einmal‹«, schaltete sich Adam ein.
    »Okay!«, rief Blue und hob die Hände. Sie verspürte eine immer stärker werdende Kälte, während Noah sich an ihrer Energie bediente. Das Letzte, was sie wollte, war, sich komplett aussaugen zu lassen wie auf dem Kirchhof. »Die Polizei hat gesagt, du wurdest seit sieben Jahren vermisst. Kommt das ungefähr hin?«
    Noah blinzelte, unsicher und erschrocken. »Ich weiß nicht … ich kann nicht …«
    Blue hielt ihm die Hand hin.
    »Nimm sie«, sagte sie. »Wenn ich bei den Sitzungen meiner Mom dabei bin und sie sich konzentrieren muss, nimmt sie auch immer meine Hand. Vielleicht hilft es ja.«
    Zögerlich griff Noah zu. Als seine Handfläche sich auf ihre legte, registrierte sie erschrocken, wie

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