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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Monokel aussah. Sie sah, wie seine Kehle zuckte, dann streckte er die Hand aus und strich ihr über die Wange.
    »Du bist so hübsch«, sagte er.
    »Das liegt an dem Stein«, entgegnete sie prompt. Ihre Haut fühlte sich warm an, seine Fingerspitzen berührten den äußersten Rand ihres Mundwinkels. »Der schmeichelt jedem Gesicht.«
    Adam nahm ihr sanft den Stein aus der Hand und legte ihn auf die Bodendielen zwischen ihnen. Er strich ihr ein verirrtes Haar von der Wange. »Meine Mutter sagt immer: ›Komplimente soll man nicht ausschlagen, solange sie gratis sind‹.« Sein Gesicht war sehr ernst. »Dieses hier sollte dich gar nichts kosten, Blue.«
    Blue zupfte am Saum ihres Kleids, wandte den Blick jedoch nicht von ihm. »Ich weiß einfach nicht, was ich auf solche Sachen antworten soll.«
    »Du könntest mir sagen, ob ich damit weitermachen soll.«
    Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihn zu ermutigen, und der Angst davor, wohin das führen würde. »Mir gefällt es, wenn du solche Sachen sagst.«
    »Aber?«, ergänzte Adam.
    »Ich habe doch gar nicht ›aber‹ gesagt.«
    »Wolltest du aber. Das habe ich gehört.«
    Sie sah ihm ins Gesicht, so fremd und verletzlich mit seinem blauen Auge. Es war leicht, ihn als schüchtern oder unsicher abzustempeln, dachte sie, aber eigentlich war er keins von beidem. Noah schon. Aber Adam war einfach still. Ihm fehlten nicht die Worte, er beobachtete bloß lieber.
    Doch dieses Wissen über ihn machte es auch nicht einfacher, seine Frage zu beantworten: Sollte sie ihm von der Gefahr erzählen, die mit einem Kuss verbunden war? Es war ihr so viel leichter gefallen, es Gansey zu erklären, weil es da keine Rolle gespielt hatte. Das Letzte, was sie wollte, war, Adam abzuschrecken, indem sie mit Begriffen wie »wahre Liebe« um sich warf, obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten. Wenn sie gar nichts sagte, bestand jedoch die Gefahr, dass er sie einfach küsste, und dann hatten sie beide ein Problem.
    »Es gefällt mir, wenn du solche Sachen sagst, aber … ich habe Angst, dass du mich küsst«, gestand Blue. Schon jetzt kam ihr diese Herangehensweise grundfalsch vor. Als er nicht sofort antwortete, beeilte sie sich hinzuzufügen: »Wir haben uns ja gerade erst kennengelernt. Und ich … ich bin … ich bin noch so jung.«
    Irgendwo auf halber Strecke hatte sie der Mut verlassen, ihm von der Prophezeiung zu erzählen, aber wie sie darauf gekommen war, dass dies hier eine bessere Erklärung sein könnte, war ihr ein Rätsel. Ich bin noch so jung . Sie wand sich innerlich.
    »Das klingt …« Adam suchte nach Worten. »Sehr vernünftig.«
    Genau das Attribut, das Neeve Blue in der allerersten Woche zugeschrieben hatte. Also war sie wohl wirklich vernünftig. So ein Mist. Da hatte sie sich solche Mühe gegeben, so exzentrisch wie möglich zu wirken, und trotzdem war und blieb sie im Kern anscheinend vernünftig.
    Adam und Blue sahen auf, als sich Schritte näherten. Es war Ronan, der irgendetwas unter dem Arm hielt. Vorsichtig ließ er sich nach unten sinken, bis er im Schneidersitz neben Adam hockte, und seufzte dann tief, als hätte er die ganze Zeit an ihrem Gespräch teilgenommen und nun genug davon. Blue war erleichtert und enttäuscht zugleich über sein Erscheinen, das alle weiteren Kuss-Debatten im Keim erstickte.
    »Willst du sie mal halten?«, fragte Ronan.
    Erst da erkannte Blue, dass der Gegenstand, den Ronan mitgebracht hatte, ein lebendiges Wesen war. Einen kurzen Augenblick war sie außerstande, irgendetwas zu tun, außer die Ironie der Tatsache auf sich wirken zu lassen, dass einer der Raven Boys tatsächlich einen Raben besaß. Und bevor sie auch nur eine Antwort herausbrachte, hatte Ronan offensichtlich beschlossen, dass sie Nein lautete.
    »Was machst du denn?«, fragte Blue, als er die Hand wieder zurückzog. »Ich will ja.«
    Sie war sich zwar nicht ganz sicher, ob das wirklich so war – der Rabe wirkte noch so unfertig –, aber sie musste es tun, schon aus Prinzip. Wieder einmal wurde ihr klar, dass sie nur versuchte, Ronan zu beeindrucken, weil er so schwer zu beeindrucken war, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie für diese Anerkennung schließlich nicht mehr tun musste, als ein Vogelbaby auf die Hand zu nehmen. Behutsam legte Ronan den Raben in ihre gewölbten Handflächen. Der Vogel schien absolut nichts zu wiegen und seine Haut und Federn fühlten sich feucht an, wo sie Kontakt mit Ronans Händen gehabt hatten. Die

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