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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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eisig sie sich anfühlte. Nicht einfach nur kalt, sie wirkte irgendwie auch leer, diese Haut ohne einen Puls darunter.
    Noah, bitte stirb jetzt nicht endgültig.
    Er stieß einen tonnenschweren Seufzer aus. »Oh Mann«, sagte er.
    Seine Stimme war anders als vorher. Jetzt klang er mehr nach dem Noah, den sie kannte, dem Noah, der als einer von ihnen durchgegangen war. Blue wusste, dass sie nicht die Einzige war, der das auffiel, denn auch Adam und Ronan wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
    Sie beobachtete, wie seine Brust sich hob und senkte, seine Atemzüge langsam ruhiger wurden. Zuvor hatte sie noch nicht einmal bemerkt, ob er überhaupt atmete.
    Noah schloss die Augen. In seiner anderen Hand hielt er noch immer den Knochen. »Ich kann mich an mein Zeugnis erinnern, an das Datum darauf – das ist sieben Jahre her.«
    Sieben Jahre. Die Polizei hatte recht gehabt. Sie redeten hier mit einem Jungen, der seit sieben Jahren tot war.
    »Dasselbe Jahr, in dem Gansey von den Hornissen gestochen wurde«, sagte Adam leise. Dann zitierte er: »Du wirst weiterleben, für Glendower. Jemand auf der Ley-Linie wird sterben, dem es bestimmt war zu leben, und so wirst du leben, dem es bestimmt war zu sterben.«
    »Zufall«, sagte Ronan, weil es ganz offensichtlich keiner war.
    Noah hielt noch immer die Augen geschlossen. »Es hatte etwas mit der Ley-Linie zu tun. Ich weiß nicht mehr, was genau er gesagt hat. Irgendwas wollten wir damit anstellen.«
    »Sie aufwecken?«, riet Adam.
    Noah nickte, die Lider immer noch fest aufeinandergepresst. Mittlerweile fühlte sich Blues ganzer Arm taub und durchgefroren an. »Ja, stimmt. Mich hat das nicht so interessiert. Das war immer seine Sache, ich bin eigentlich eher aus Langeweile mitgegangen. Ich wusste ja nicht, dass er vorhatte …«
    »Das ist das Ritual, das Gansey meinte«, sagte Adam zu Ronan. »Also hat es tatsächlich schon mal jemand versucht. Mit einem Opfer als symbolische Methode, die Ley-Linie zu berühren. Du warst das Opfer, nicht wahr, Noah? Jemand hat dich für all das getötet.«
    »Mein Gesicht«, flüsterte Noah und drehte den Kopf weg, barg die zerstörte Wange an seiner Schulter. »Ich kann mich nicht erinnern, ab wann ich nicht mehr lebendig war.«
    Blue erschauderte. Die spätnachmittägliche Sonne, die die Jungen und den Holzboden in ihr Licht tauchte, war frühlingshaft, doch ihre Knochen fühlten sich an, als steckte der tiefste Winter darin.
    »Aber es hat nicht funktioniert«, sagte Ronan.
    »Beinahe hätte ich Cabeswater aufgeweckt«, murmelte Noah. »Nahe genug dran waren wir. Es war nicht umsonst. Aber ich bin froh, dass er es niemals gefunden hat. Er weiß es nicht. Er weiß nicht, wo es ist.«
    Blue erzitterte unwillkürlich, sowohl wegen Noahs kalter Hand in ihrer als auch wegen der Grausigkeit seiner Geschichte. Sie fragte sich, ob es sich so für ihre Mutter und ihre Tanten und die Freundinnen ihrer Mutter anfühlte, wenn sie eine Séance oder eine hellseherische Sitzung abhielten.
    Halten sie dabei Händchen mit Toten?
    Sie hatte immer geglaubt, tot zu sein wäre etwas Dauerhafteres oder zumindest offensichtlicher Nicht-Lebendiges. Aber Noah schien weder das eine noch das andere sein zu können.
    »Okay, Schluss jetzt mit dem Scheiß«, schaltete sich Ronan ein. »Wer war das, Noah?«
    Noahs Hand zitterte in Blues.
    »Im Ernst, Mann, jetzt rück schon raus damit. Ich frag dich hier nicht nach Unterrichtsnotizen. Sondern danach, wer dir den Schädel eingeschlagen hat.«
    In Ronans Worten lagen Wut und Aufrichtigkeit, doch seine Wut schloss Noah mit ein, als trüge dieser eine Mitschuld an der ganzen Sache.
    Noah klang beschämt, als er antwortete: »Wir waren Freunde.«
    Adam widersprach, weitaus grimmiger, als er kurz zuvor noch gewirkt hatte: »Freunde bringen einander nicht um.«
    »Ihr versteht das nicht«, flüsterte Noah. Blue fürchtete, er könnte jeden Moment verschwinden. Dies, so viel war ihr klar, war ein Geheimnis, das er sieben Jahre lang mit sich herumgetragen hatte und immer noch nicht preisgeben wollte. »Er war aufgebracht. Er hatte alles verloren. Wenn er nicht so durcheinander gewesen wäre, hätte er bestimmt nicht … er wollte doch nicht … wir waren Freunde, genau wie … habt ihr etwa Angst vor Gansey?«
    Die Jungen antworteten nicht, das mussten sie nicht. Was immer Gansey ihnen bedeutete, es war absolut unangreifbar. Und doch sah Blue wieder diesen Anflug von Scham über Adams Gesicht huschen. Was auch in seiner

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