Wen der Rabe ruft (German Edition)
blieb ganz am Rand des Schattens stehen und kam nicht näher.
Blue überlegte, ob sie »Das mit deinem Dad tut mir leid« sagen sollte, dann aber streckte sie ihm einfach nur die Hand hin. Adam stieß einen unsicheren Seufzer aus, einen von der Sorte, die sie selbst aus zwei Metern Entfernung sehen konnte. Wortlos setzte er sich neben sie und legte schließlich den Kopf in ihren Schoß, das Gesicht in den Händen vergraben.
Vor Schreck wusste Blue nicht, wie sie reagieren sollte, und warf lediglich einen hastigen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass man sie vom Haus nicht sah. Es war ein bisschen, als hätte sich ihr ein wildes Tier genähert, durch dessen Vertrauen sie sich geschmeichelt fühlte, während sie gleichzeitig Angst hatte, es zu verscheuchen. Nach einem Augenblick strich sie ihm behutsam über ein paar feine braune Haarsträhnen und starrte auf seinen Nacken hinunter. Die Berührung und sein Geruch nach trockener Erde und Öl brachten etwas in ihrer Brust zum Summen.
»Deine Haare haben dieselbe Farbe wie Staub«, sagte sie.
»Sie wissen eben, wo sie herkommen.«
»Das ist witzig«, bemerkte Blue, »dann müssten meine nämlich eigentlich genauso aussehen.«
Seine Schultern zuckten zur Antwort. Dann sagte er: »Manchmal denke ich, er wird mich nie wirklich verstehen.«
Sie fuhr mit dem Finger über den Rand seines Ohrs. Es fühlte sich gefährlich und aufregend an, aber nicht so gefährlich und aufregend, wie es gewesen wäre, wenn er sie dabei angesehen hätte.
»Ich sage das jetzt nur ein Mal, dann halte ich auch den Mund«, fing sie an. »Aber ich finde dich unglaublich mutig.«
Er schwieg eine ganze Weile. Auf der Straße rauschte ein Auto vorbei. Der Wind fuhr raschelnd durch die Buchenblätter und drehte sie herum, was bedeutete, dass es bald Regen geben würde.
Ohne den Kopf zu heben, sagte Adam: »Ich würde dich jetzt gern küssen, Blue, egal, wie jung du bist.«
Blues Finger hielten still. »Ich will dir nicht wehtun«, sagte sie.
Er löste sich von ihr, sodass er ein paar Zentimeter entfernt saß. Sein Gesicht war ausdruckslos, ganz anders als beim ersten Mal, als er sie hatte küssen wollen. »Keine Sorge, das haben schon andere für dich übernommen.«
Blue glaubte nicht, dass es ihm wirklich darum ging, sie zu küssen, und ihre Wangen wurden heiß. Sie sollten sich ohnehin nicht küssen, aber wenn, dann zumindest nicht auf diese Weise. Sie sagte: »Wir können froh sein, dass dir nicht noch was viel Schlimmeres passiert ist.«
Er schluckte und wandte das Gesicht ab. Seine Hände lagen schlaff in seinem Schoß. »Wenn ich nicht ich wäre«, dachte sie, »dann hätte ich eben meinen ersten Kuss bekommen.« Sie fragte sich, wie es wohl wäre, diesen hungrigen, einsamen Jungen zu küssen.
Adams Blick huschte hin und her, folgte dem Spiel des Lichts in den Blättern. Er sah sie nicht an. »Ich weiß nicht mehr, wie deine Mutter gesagt hat, dass ich mein Problem lösen soll. Damals bei der Sitzung. Die Entscheidung, die ich nicht treffen konnte.«
Blue seufzte. Darum ging es also. Irgendwie hatte sie es die ganze Zeit über gewusst, auch wenn es ihm vielleicht selbst nicht klar gewesen war. »Du solltest eine dritte Möglichkeit finden«, sagte sie. »Und beim nächsten Mal ein Notizbuch mitbringen.«
»An das mit dem Notizbuch kann ich mich gar nicht erinnern.«
»Das habe ja auch ich gesagt, jetzt gerade. Nächstes Mal, wenn du dir die Karten legen lässt, mach dir Notizen. Die kannst du dann mit dem vergleichen, was tatsächlich passiert, damit du weißt, ob du bei einer guten Wahrsagerin warst.«
Jetzt blickte er sie an, aber sie war sich nicht sicher, ob er sie wirklich sah. »Mache ich.«
»Diesmal kann ich dir die Arbeit aber ersparen«, fügte Blue hinzu und legte den Kopf in den Nacken, als er aufstand. Ihre Finger und ihre Haut sehnten sich nach dem Adam, mit dem sie vor ein paar Tagen noch Händchen gehalten hatte, doch der Junge vor ihr schien ein anderer zu sein. »Meine Mutter ist gut.«
Er schob die Hände in die Hosentaschen und rieb seine Wange an seiner Schulter. »Also meinst du, ich sollte auf sie hören?«
»Nein, du solltest auf mich hören.«
Adams hastig aufgesetztes Lächeln war so dünn, dass es zu zerbrechen drohte. »Und was rätst du mir?«
Plötzlich hatte Blue Angst um ihn. »Bleib einfach so mutig.«
Überall Blut.
»Bist du jetzt zufrieden, Adam?«, fauchte Ronan. Er kniete neben Gansey, der zuckend im Staub lag. Blue starrte
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