Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
Adam an und das Entsetzen in ihrem Gesicht war das Schlimmste von allem. Es war seine Schuld. Ronans Blick war rasend vor Trauer. »Ist es das, was du wolltest?«
    Als Adam aus dem grausamen Traum erwachte, der seine Glieder immer noch vor Adrenalin kribbeln ließ, wusste er zuerst nicht, wo er war. Er fühlte sich, als würde er schweben – mit dem Raum um ihn stimmte etwas nicht, zu wenig Licht, zu viel Platz über seinem Kopf, kein Echo seines Atems, das von den Wänden zu ihm zurückhallte.
    Dann fiel ihm wieder ein, wo er war: in Noahs Zimmer mit seinen eng stehenden Wänden und der hohen Decke. Eine neue Welle des Unglücks überrollte ihn und deren Ursprung konnte er ganz genau identifizieren: Heimweh. Unzählige Minuten lang lag Adam wach und versuchte, sich selbst gut zuzureden. Rein logisch gesehen wusste Adam, dass es nichts zu vermissen gab, dass er unter dem Stockholmsyndrom litt und deswegen mit seinen Peinigern sympathisierte, indem er es schon als freundliche Geste auffasste, wenn sein Vater ihn einmal nicht schlug. Ganz objektiv wusste er natürlich, dass er misshandelt worden war. Er wusste, dass der Schaden bleibender war als jeder blaue Fleck, mit dem er je zur Schule gegangen war. Er konnte endlos seine Reaktionen analysieren, seine Gefühle anzweifeln, sich fragen, ob er seine eigenen Kinder auch einmal schlagen würde.
    Doch als er so in der Dunkelheit lag, war alles, was ihm durch den Kopf ging: »Meine Mutter wird nie wieder mit mir reden. Ich habe kein Zuhause mehr.«
    Der Geist Glendowers und die Ley-Linie waberten ihm durch den Kopf. Sie schienen einerseits näher denn je, andererseits aber waren die Chancen auf Erfolg noch nie so niedrig gewesen wie jetzt. Whelk war irgendwo da draußen und er war sogar noch länger auf der Suche als Gansey. Ganz sich selbst überlassen, würde er sicher schneller ans Ziel seiner Wünsche gelangen als sie.
    Wir müssen die Ley-Linie aufwecken.
    Adams Gedanken waren ein einziges Chaos: das letzte Mal, als sein Vater ihn geschlagen hatte, Pig, der neben ihm hielt, Gansey auf dem Fahrersitz, Ronans Doppelgänger an der Supermarktkasse an dem Tag, als er beschlossen hatte, dass er auf die Aglionby Academy gehen wollte, Ronans Faust, die auf die Wange seines Vaters prallte. So viele Wünsche erfüllten ihn, zu viele, um sie ordnen zu können, und so kamen sie ihm alle gleichermaßen verzweifelt vor. Nicht so viel arbeiten zu müssen, an einem guten College angenommen zu werden, mit Krawatte nicht verkleidet auszusehen. Nicht immer noch hungrig zu sein, nachdem er das dünne Sandwich gegessen hatte, das er sich mit zur Arbeit gebracht hatte. Den glänzenden Audi zu fahren, den er sich nach der Schule einmal mit Gansey angesehen hatte, wieder nach Hause zu können, seinem Vater selbst einen anständigen Schlag verpasst zu haben. Eine Wohnung mit Granitarbeitsplatten und einem Fernseher zu besitzen, der größer war als Ganseys Schreibtisch, endlich irgendwo hinzugehören, wieder nach Hause zu können. Nach Hause.
    Wenn sie die Ley-Linie aufweckten, wenn sie Glendower fanden, konnte er diese Dinge tatsächlich haben. Zumindest die meisten.
    Doch wieder sah er Ganseys verletzten Körper vor sich und Ganseys verletzte Miene, als sie sich gestritten hatten. Adam konnte Gansey einfach nicht in Gefahr bringen.
    Aber er konnte genauso wenig zulassen, dass Whelk sich dazwischendrängte und ihnen wegnahm, wofür sie so hart gearbeitet hatten. Warten! Gansey konnte es sich vielleicht leisten zu warten. Adam nicht.
    Damit war die Sache beschlossen. Adam schlich leise durch das Zimmer und packte seine Tasche. Schwer zu sagen, was er brauchen würde. Er zog die Pistole unter dem Bett hervor und betrachtete sie lange, eine schwarze, Unheil verheißende Silhouette auf den Bodendielen. Früher an diesem Tag hatte Gansey zugesehen, wie er sie ausgepackt hatte.
    »Was ist das denn?«, hatte er entsetzt ausgerufen.
    »Du weißt ganz genau, was das ist«, hatte Adam geantwortet. Die Waffe gehörte seinem Vater, und obwohl er nicht glaubte, dass dieser sie je auf seine Mutter richten würde, hatte er das Risiko lieber nicht eingehen wollen.
    Ganseys Furcht vor dieser Pistole war regelrecht greifbar gewesen. Möglicherweise, dachte Adam, lag das daran, dass Whelk ihm erst kurz zuvor eine unter die Nase gehalten hatte. »Ich will die nicht hierhaben.«
    »Verkaufen kann ich sie nicht«, hatte Adam entgegnet. »Daran hab ich auch schon gedacht. Aber es geht nicht, allein vom Gesetz

Weitere Kostenlose Bücher