Wen der Rabe ruft (German Edition)
vor ein paar Jahren ausgetauscht, nachdem ein unglücklicher Zwischenfall ihr das Arbeiten damit verleidet hatte. Es war so still im Zimmer, dass man hörte, wie die Karten über die unregelmäßige, verkratzte Oberfläche des Tisches schabten.
Persephone hielt ihre Karten in ihren langen, langen Händen und musterte den Mann für einen bedeutungsschweren Moment. Schließlich legte sie nur zwei Karten dazu, eine an den Anfang und eine ans Ende. Blue liebte es, Persephone beim Legen zuzusehen; die anmutige Drehung ihres Handgelenks und das klare »Schnick« der Karten ließen es immer wie einen Taschenspielertrick oder eine Bewegung aus dem Ballett wirken. Sogar die Karten selbst sahen aus wie nicht von dieser Welt. Persephones Karten waren größer als die von Maura und Calla und die Bilder darauf ziemlich kurios: Krakelige Linien und verschmierte Hintergründe deuteten die Figuren lediglich an. Blue hatte noch nie einen vergleichbaren Satz gesehen. Maura hatte Blue einmal gesagt, es sei schwer, Persephone Antworten auf Fragen zu entlocken, die nicht absolut notwendig waren, daher hatte Blue niemals herausgefunden, wo sie diese Karten herhatte.
Nachdem die Karten gelegt waren, studierten Maura, Calla und Persephone das Muster. Blue bemühte sich, über ihre zusammengesteckten Köpfe etwas zu sehen und gleichzeitig die Tatsache zu ignorieren, dass der Mann, dem sie jetzt ziemlich nahe war, überwältigend nach irgendeinem sehr künstlichen, maskulinen Duschgel roch. Die Sorte, die es meistens in schwarzen Flaschen zu kaufen gab, mit Namen wie »Shock« oder »Power« oder »Schleudertrauma«.
Calla sprach als Erste. Sie drehte die »Drei der Schwerter« um, sodass der Mann sie sehen konnte. Auf der Karte durchbohrten drei Schwerter ein blutendes Herz von der Farbe ihrer Lippen. »Sie haben jemanden verloren, der Ihnen nahestand.«
Der Mann sah auf seine Hände. »Ich habe …«, begann er und hielt dann inne, bevor er den Satz beendete, »… vieles verloren.«
Maura presste die Lippen aufeinander. Eine von Callas Augenbrauen zuckte in Richtung ihres Haaransatzes. Die beiden wechselten einen flüchtigen Blick. Blue kannte beide gut genug, um den Ausdruck in ihren Augen zu interpretieren. Bei Maura besagte er: Was meinst du? , bei Calla: Hier stimmt was nicht. Persephones Blick verriet nichts.
Maura berührte die Ecke der »Fünf der Münzen«. »Geld stellt eine Sorge für Sie dar«, merkte sie an. Auf ihrer Karte humpelte ein Mann auf Krücken unter einem Buntglasfenster durch den Schnee, neben ihm eine Frau, die ein Tuch unter dem Kinn zusammenhielt.
Sie fügte hinzu: »Durch die Schuld einer Frau.«
Der Blick des Mannes blieb fest. »Meine Eltern waren sehr wohlhabend. Dann wurde mein Vater in einen geschäftlichen Skandal verwickelt. Jetzt sind sie geschieden und das Geld ist weg. Oder zumindest nicht bei mir.«
Etwas an seiner Art, davon zu berichten, war seltsam unangenehm. So schonungslos nüchtern.
Maura wischte sich die Hände an ihrer Hose ab. Dann deutete sie auf eine andere Karte. »Und nun stecken Sie in einem langweiligen Job fest. Ein Job, in dem Sie zwar gut sind, der Sie aber nicht erfüllt.«
Seine zusammengepressten Lippen verrieten, dass das der Wahrheit entsprach.
Persephone berührte die erste Karte, die sie gezogen hatte. Der »Ritter der Münzen«. Ein Mann in Rüstung saß auf einem Pferd und sah mit kaltem Blick auf ein Feld hinaus, in der Hand eine Münze. Als Blue die Münze betrachtete, meinte sie, darauf ein Symbol zu erkennen. Drei gekrümmte Linien, vereint zu einem länglichen Dreieck, dessen Spitzen wie Schnäbel auseinanderklafften. Das Symbol vom Kirchhof, von Mauras gedankenloser Zeichnung in der Dusche, aus dem Notizbuch.
Das heißt, nein, wenn sie genauer hinsah, war es doch nur ein verblasster fünfzackiger Stern.
Schließlich sprach Persephone. Mit ihrer hohen, klaren Stimme sagte sie zu dem Mann: »Sie sind auf der Suche nach etwas.«
Mit einem Ruck wandte er ihr den Kopf zu.
Callas Karte, die neben Persephones lag, zeigte ebenfalls den »Ritter der Münzen«. Es kam selten vor, dass zwei Sätze sich so einig waren. Umso ungewöhnlicher, dass auch auf Mauras nächster Karte der »Ritter der Münzen« zu sehen war. Drei Ritter, deren kalte Blicke auf das Land vor ihnen gerichtet waren.
Wieder die Zahl drei.
Calla erklärte bitter: »Sie würden alles tun, um es endlich zu finden. Sie arbeiten nun schon seit Jahren daran.«
»Ja«, stieß der Mann hervor
Weitere Kostenlose Bücher