Wen der Rabe ruft (German Edition)
und kein Geräusch war zu hören, wodurch Gansey der Verdacht kam, dass Adam hier nichts reparierte, sondern vielmehr einfach das Haus mied.
»Hey, Tiger«, begrüßte Gansey ihn.
Adam zog die Knie an, als wollte er sich unter dem Wagen hervorschieben, tat es dann aber doch nicht.
»Was gibt’s?«, fragte er ausdruckslos.
Gansey wusste, was es bedeutete, dass Adam nicht direkt hervorkam, und seine Brust schnürte sich vor Wut und schlechtem Gewissen zusammen. Das Frustrierendste an Adams Lage war, dass Gansey keinerlei Einfluss darauf hatte. Nicht im Geringsten. Er ließ einen Notizblock auf die Werkbank fallen. »Hier, ich habe ein bisschen für dich mitgeschrieben. Ich konnte leider nicht sagen, dass du krank bist, dafür hast du letzten Monat schon zu oft gefehlt.«
Adams Stimme war ganz ruhig. »Was hast du denn dann gesagt?«
Eins der Werkzeuge unter dem Auto ließ ein halbherziges Scharren vernehmen.
»Jetzt komm schon, Parrish, raus da«, forderte Gansey ihn auf. »Bringen wir’s hinter uns.«
Gansey fuhr zusammen, als sich eine kalte Hundeschnauze in seine herabhängende Handfläche schob – der Köter, der kurz zuvor noch so wild seine Reifen attackiert hatte. Widerstrebend kraulte er ihn hinter einem seiner Stummelohren und zog dann schnell die Hand zurück, als der Hund auf das Auto zuschoss und Adams Füße anbellte, die angefangen hatten, sich zu bewegen. Zuerst kamen die zerschlissenen Knie von Adams Cargohose zum Vorschein, dann sein ausgeblichenes Coca-Cola-T-Shirt und schließlich sein Gesicht.
Eine Prellung, rot und immer weiter anschwellend wie eine sich stetig ausbreitende Galaxie, prangte auf seinem Wangenknochen. Eine weitere, dunklere, zog sich quer über seine Nasenwurzel.
»Du kommst sofort mit mir mit«, platzte es aus Gansey heraus.
»Dann wird es nur umso schlimmer, wenn ich wiederkomme«, erwiderte Adam.
»Ich meine für immer. Zieh zu uns ins Monmouth. Es reicht.«
Adam stand auf. Der Hund tänzelte ihm erfreut um die Füße, als wäre er auf einem fremden Planeten gewesen statt bloß unter dem Auto. Erschöpft fragte er: »Und was mache ich, wenn Glendower dich ein für alle Mal aus Henrietta weglockt?«
Gansey konnte nicht behaupten, dass das nicht eines Tages passieren könnte. »Dann kommst du eben mit.«
»Was? Erklär mir mal, wie das funktionieren soll. Dann wäre ja die ganze Mühe, die ich mir an der Aglionby gegeben habe, umsonst gewesen. Ich müsste an einer anderen Schule ganz von vorne anfangen.«
Adam hatte einmal zu Gansey gesagt: »Vom Tellerwäscher zum Millionär, das ist eine Geschichte, die niemand hören will, bevor sie zu Ende ist.« Aber die Geschichte war nun mal schwer zu Ende zu führen, wenn Adam schon wieder nicht zur Schule kommen konnte. Ohne gute Noten kein Happy End.
»Du musst ja nicht auf eine Schule wie Aglionby gehen«, sagte Gansey. »Und auch keine Eliteuni. Viele Wege führen zum Erfolg.«
Sofort entgegnete Adam: »Ich maße mir auch kein Urteil darüber an, was du tust, Gansey.«
Gansey fühlte sich plötzlich unbehaglich, denn er wusste genau, wie schwer es Adam fiel, seine Beweggründe für die Suche nach Glendower zu akzeptieren. Adam hatte allen Grund, Ganseys unbestimmbarem Drang – seinen Grübeleien darüber, warum das Universum ihn dazu erwählt hatte, als Sohn wohlhabender Eltern geboren zu werden und ob sein Leben einen höheren Sinn hatte – mit Ablehnung zu begegnen. Gansey wusste einfach, dass er etwas bewirken und der Welt gerade wegen dieses Vorsprungs, den sie ihm gewährt hatte, etwas Größeres hinterlassen musste, weil er andernfalls schlicht der schlechteste Mensch unter der Sonne war.
»Die Armen sind unglücklich über ihre Armut«, hatte Adam einmal sinniert, »und wie es aussieht, sind die Reichen genauso unglücklich über ihren Reichtum.«
Worauf Ronan geantwortet hatte: »Hey, ich hab kein Problem damit, reich zu sein.«
Gansey sagte jetzt: »Na und? Dann suchen wir dir eben eine andere gute Schule. Wir fangen von vorne an. Wir richten dir ein neues Leben ein.«
Adam griff an ihm vorbei nach einem Lappen und fing an, sich die Zwischenräume seiner ölverschmierten Finger zu reinigen. »Ich müsste auch einen Job finden. Mehrere Jobs. Das geht nicht mal eben über Nacht. Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, um meine jetzigen zu kriegen?«
Und damit meinte er nicht die Arbeit unter dem Carport neben dem Doppelwohnwagen seiner Eltern. Das war nur eine seiner Pflichten. Nein, Adam hatte
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