Wen der Rabe ruft (German Edition)
Persephone, Calla und ich –«, erklärte Maura, »lesen Ihre Karten und vergleichen unsere Interpretationen. So etwas bietet sie nicht jedem an, müssen Sie wissen.«
»Ist das teurer als normal?«
»Nicht, wenn Sie diese eine biestige Glühbirne auswechseln könnten«, sagte Maura und wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab.
»Na schön«, sagte der Mann, aber er klang leicht gekränkt.
Maura bedeutete Blue, dem Mann eine Birne zu reichen, und sagte dann: »Persephone, würdest du bitte Calla holen gehen?«
»Oje«, piepste Persephone – und ihre Stimme war schon von sich aus so piepsig, dass sie sich nun in fast unhörbare Höhen schraubte –, wandte sich dann aber ab und glitt mit ihren nackten Füßen lautlos die Treppe hinauf.
Maura sah Blue an und in ihren Augen stand eine Frage. Blue zuckte zustimmend mit den Schultern.
»Wenn es Ihnen recht ist, wird meine Tochter Blue mit im Raum bleiben. Sie lässt das, was wir sehen, klarer werden.«
Mit einem gleichgültigen Blick in Blues Richtung kletterte der Mann auf den Tisch, der unter seinem Gewicht ächzte. Er stieß ein kleines Schnaufen aus, als er versuchte, die widerspenstige Birne aus ihrer Fassung zu lösen.
»Da sehen Sie, was das Problem ist«, sagte Maura. »Wie ist Ihr Name?«
»Ähm«, machte der Mann und ruckelte an der Birne. »Können wir das Ganze nicht anonym halten?«
»Wir sind Wahrsagerinnen und keine Stripperinnen«, entgegnete Maura.
Blue lachte, der Mann jedoch nicht. Sie fand das ziemlich unfair – vielleicht war die Bemerkung ein kleines bisschen daneben gewesen, aber lustig auf jeden Fall.
Die Küche erhellte sich abrupt, als die neue Birne Kontakt bekam. Kommentarlos stieg der Mann auf einen Stuhl hinunter und von dort auf den Boden.
»Wir sind sehr diskret«, versprach Maura. Sie bedeutete ihm, ihr zu folgen.
Im Sitzungszimmer sah sich der Mann mit kühlem Interesse um. Sein Blick wanderte über die Kerzen, Topfpflanzen, Räucherstäbchenhalter, den ausladenden Kronleuchter, den rustikalen Tisch, der den Raum dominierte, die Spitzenvorhänge und verharrte schließlich auf einem gerahmten Foto von Steve Martin.
»Mit Autogramm«, verkündete Maura, die seinem Blick gefolgt war, nicht ohne Stolz. Dann sagte sie: »Ah, Calla.«
Calla rauschte ins Zimmer und ihre Augenbrauen zeigten deutlich, wie wenig begeistert sie über die Störung war. Sie trug Lippenstift in einem bedrohlichen Pflaumenton, der ihren Mund zu einer kleinen spitzen Raute unter ihrer ebenso spitzen Nase machte. Calla musterte den Mann mit einem Blick, der auf den Grund seiner Seele zu tauchen und sie als unzulänglich einzustufen schien. Dann griff sie sich ihre Karten von dem Regalbord neben Mauras Kopf und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Hinter ihr in der Tür stand Persephone, die immerzu die Hände zusammen- und wieder auseinanderfaltete. Blue setzte sich hastig auf einen Stuhl am Ende des Tischs. Der Raum wirkte plötzlich viel kleiner als noch vor ein paar Minuten und das war im Wesentlichen Callas Schuld.
Persephone bat den Mann freundlich, sich zu setzen, und Calla fragte unfreundlich: »Was wollen Sie wissen?«
Der Mann ließ sich auf einen Stuhl sinken. Maura nahm den Platz ihm gegenüber ein, sodass sie Calla und Persephone (und Persephones Haare) links und rechts von sich hatte. Blue saß, wie immer, ein kleines Stück abseits.
»Das würde ich eigentlich lieber nicht sagen«, antwortete der Mann. »Vielleicht sagen Sie es mir ja.«
Callas Pflaumenlächeln war geradezu teuflisch. »Vielleicht.«
Maura schob dem Mann ihre Karten zu und bat ihn, sie zu mischen. Er tat es, geübt und fast ohne jede Befangenheit. Als er fertig war, ließen Persephone und Calla ihn auch ihre Karten mischen.
»Sie sind schon mal bei einer Wahrsagerin gewesen«, stellte Maura fest.
Er antwortete mit einem vage zustimmenden Brummen. Blue sah ihm an, dass er dachte, jede Information, die er ihnen gab, würde es ihnen leichter machen, ihn zu betrügen. Dennoch glaubte sie nicht, dass sie einen Skeptiker vor sich hatten. Er war lediglich ihnen gegenüber skeptisch.
Maura nahm ihre Karten von ihm entgegen. Sie hatte diesen Satz schon, solange Blue denken konnte, und die Ränder waren vom häufigen Gebrauch ausgefranst. Es waren ganz normale Tarotkarten, nur so Respekt einflößend, wie sie es ihnen zugestand. Maura zog zehn Karten und legte sie ab. Calla tat dasselbe mit ihren Karten, die noch etwas besser in Schuss waren – sie hatte ihren alten Satz
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