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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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aber auch nur, dass er zu niemandem durchdrang.
    Er schloss die Augen und dachte an die Schwellung in Adams Gesicht mit ihren verschwommenen, sich ausbreitenden Rändern und an die dunkelrote Verfärbung über seiner Nase. Er stellte sich vor, wie er eines Tages herkommen würde und Adam nicht hier wäre, sondern im Krankenhaus, oder schlimmer noch, dass Adam hier wäre, aber etwas Essenzielles aus ihm herausgeprügelt worden war.
    Allein der Gedanke ließ Übelkeit in ihm aufsteigen.
    Plötzlich wackelte der Wagen und Gansey riss die Augen auf. Die Beifahrertür quietschte.
    »Warte, Gansey«, keuchte Adam atemlos. Er musste sich ziemlich zusammenkrümmen, um ins Auto sehen zu können. Seine Prellung sah grauenhaft aus und ließ seine Haut fast durchsichtig erscheinen. »Fahr nicht einfach …«
    Gansey ließ die Hände vom Steuer in den Schoß gleiten. Gleich würde Adam ihn bitten, seine Worte nicht persönlich zu nehmen. Aber sie fühlten sich nun mal persönlich an.
    »Ich will dir doch nur helfen.«
    »Ich weiß«, beteuerte Adam. »Ich weiß. Aber auf die Art geht es nun mal nicht. So könnte ich nicht mit mir leben.«
    Das verstand Gansey nicht, aber er nickte trotzdem. Er wollte nur, dass es vorüber war; er wollte, dass es gestern war, als Ronan und Adam und er seiner Aufnahme gelauscht hatten und Adams Gesicht noch unversehrt gewesen war. Hinter Adam sah er Mrs   Parrish, die auf der Veranda stand und sie beobachtete.
    Adam schloss die Augen. Gansey konnte seine Iris unter der dünnen Haut seiner Lider zucken sehen, als träumte er, ohne zu schlafen.
    Dann, mit einer fließenden Bewegung, rutschte Adam auf den Beifahrersitz. Ganseys Mund öffnete sich, um eine Frage zu stellen, doch er sprach sie nicht aus.
    »Fahren wir«, sagte Adam. Er sah Gansey nicht an. Seine Mutter starrte von der Veranda zu ihnen herüber, doch auch sie sah er nicht an. »Jetzt steht doch der Termin mit der Wahrsagerin an, oder? Machen wir weiter mit dem Plan.«
    »Ja, aber …«
    »Um zehn muss ich wieder zu Hause sein.«
    Jetzt endlich sah Adam ihn an. In seinem Blick lag etwas Grimmiges, Erschreckendes, ein unbestimmbares Etwas, von dem Gansey stets fürchtete, dass es eines Tages ganz von ihm Besitz ergreifen würde. Dies hier, das wusste er, war ein Kompromiss, ein riskantes Geschenk, das er noch zurückweisen konnte.
    Nach kurzem Zögern jedoch stieß Gansey seine Faust gegen Adams, die über dem Schalthebel schwebte. Adam kurbelte das Fenster herunter und klammerte sich mit der rechten Hand ans Dach, als müsse er sich festhalten.
    Als der Camaro langsam die einspurige Zufahrt hochfuhr, blockierte ihnen ein blauer Toyota Pick-up, der aus der Gegenrichtung kam, den Weg. Adams Atem setzte hörbar aus. Ganseys Blick traf durch die Windschutzscheibe auf den von Adams Vater. Robert Parrish war ein bulliger Kerl, farblos wie der August, emporgewachsen aus dem Staub, der die Wohnwagen umgab. Seine Augen waren dunkel und klein und Gansey konnte keine Spur von Adam in ihnen sehen.
    Robert Parrish spuckte aus dem Fenster. Er fuhr nicht rechts ran, um sie vorbeizulassen. Adam hatte das Gesicht abgewandt und blickte auf das Maisfeld hinaus, Gansey aber sah nicht weg.
    »Du musst nicht mitkommen«, sagte Gansey, weil er es sagen musste.
    Adams Stimme schien von weit weg zu kommen. »Ich will aber.«
    Gansey riss das Lenkrad herum und ließ den Motor aufheulen. Staubwolken quollen unter Pigs Rädern hervor, als der Wagen die Straße verließ und durch den flachen Graben daneben raste. Ganseys Herz klopfte vor Aufregung und Gefahr und dem Verlangen, Adams Vater alles, was er über ihn dachte, persönlich ins Gesicht zu schreien.
    Als sie an dem Toyota vorbei und zurück auf der Zufahrt waren, konnte Gansey spüren, wie Robert Parrish ihnen hinterherstarrte.
    In diesem Blick schien ein zuverlässigeres Versprechen für die Zukunft zu liegen, als eine Wahrsagerin es ihm je geben konnte.

15
    N atürlich war Gansey nicht pünktlich zu seiner Sitzung. Der vereinbarte Zeitpunkt kam und ging vorüber. Kein Gansey. Und, vielleicht noch enttäuschender, kein Anruf von Adam. Blue zog die Vorhänge zur Seite und spähte auf die Straße hinaus, doch außer dem normalen Feierabendverkehr war nichts zu sehen. Maura versuchte, Ausreden zu finden.
    »Vielleicht hat er die falsche Zeit aufgeschrieben«, sagte sie.
    Blue glaubte nicht, dass er die falsche Zeit aufgeschrieben hatte.
    Zehn weitere Minuten krochen vorbei. Maura sagte: »Vielleicht ist

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