Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
Vom Netzwerk:
anders dazwischengerutscht ist, wäre es wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mir graut schon, wenn ich nur daran denke.«
    »Was ist mit der Personalakte des Beamten?«, fragte Gemma. »Er hieß Gavin Hoxley.«
    »Nie gehört, den Namen. Ich fürchte, das war lange vor meiner Zeit.Aber ich kann Ihnen gerne die Akte raussuchen lassen, wenn Sie wollen.« Sie sah auf ihre Uhr. »Ich habe eine Besprechung beim Superintendent, aber fühlen Sie sich ganz wie zu Hause; ich lasse Ihnen die Akte gleich bringen.«
    Gemma dankte ihr für ihr freundliches Entgegenkommen.
    Sie musste nicht lange warten, bis ein uniformierter Constable ihr eine zerfledderte Mappe brachte. Gemma blies die
Staubschicht weg, die sich auf dem Deckel gebildet hatte, und schlug vorsichtig die Akte auf.
    Die einzelnen Seiten waren mit einer mechanischen Schreibmaschine auf billiges Papier getippt, und die Schrift war vom vielen Herausnehmen fleckig und verschmiert. Gemma las die Angaben zur Person. Gavin Hoxley war Londoner, geboren im selben Bezirk, in dem sie sich gerade befand, und er war als Soldat im Krieg gewesen, bevor er zur Metropolitan Police gegangen war, wo er sich schnell hochgearbeitet hatte.
    Sie blätterte die jährlichen Dienstbeurteilungen durch, wobei sie den vertrauten Polizeijargon nur überflog. Und dann stockte ihr der Atem, und sie starrte die Seite an, die vor ihr lag. Sie las sie noch einmal durch, dann noch ein drittes Mal, und dann legte sie die Akte langsam beiseite und zog ihr Handy aus der Tasche.
     
    Erst in den frühen Morgenstunden konnte Erika endlich einschlafen, und dann träumte sie – nicht von Gavin und auch nicht von David, sondern von ihrem Vater, in flüchtigen Schattenbildern, die sie mit einem quälenden Gefühl des Verlusts zurückließen. Sie schluchzte sehnsüchtig auf und erwachte davon, blieb aber im schwachen grauen Licht der ersten Morgendämmerung liegen, bis es Zeit zum Aufstehen war.
    Sie zwang sich, ein paar Bissen Toast zu essen – es wäre doch zu peinlich, wenn sie in Ohnmacht fiele -, um sich dann mit mehr als der üblichen Sorgfalt zu waschen und anzukleiden. Ihr Kleid war dasselbe, das sie gestern getragen hatte – ihr bestes hellblaues Popelinekleid -, aber dazu zog sie weiße Handschuhe an und setzte einen kleinen Hut auf, den sie im Frühjahrsschlussverkauf bei Whiteley’s erstanden hatte – vor einer halben Ewigkeit, als solche Dinge ihr noch wichtig gewesen waren.
    Und die ganze Zeit über hörte sie die Stimme ihrer Mutter.Wenn sie sich damals, als Erika noch ein Kind war, zum Ausgehen fertig gemacht hatten, hatte sie es nie versäumt, ihre Tochter daran zu erinnern, dass
sie Juden waren und den Leuten keinen Anlass geben durften, schlecht von ihnen zu denken.
    Irgendwann in dieser schier endlosen Nacht war ihr der Gedanke gekommen, dass sie so gut wie nichts über Gavin wusste, außer dass er auf dem Polizeirevier Chelsea arbeitete, und deshalb schlug sie, sobald sie fertig war, in ihrem A-Z-Straßenverzeichnis von London nach und fand heraus, dass die Wache am Lucan Place nahe dem Victoria and Albert Museum lag.
    Und dann machte sie sich zu Fuß auf den Weg, denn obgleich sie wusste, dass sie hingehen musste, hätte sie den Moment des Ankommens am liebsten endlos hinausgeschoben.
    Sie nahm den Broad Walk durch den Hyde Park. Die Bäume standen in vollem Laub, das Gras war geradezu unwirklich grün, die milde Luft war wie eine Liebkosung auf ihrer Haut, und es kam ihr vor, als hätte selbst die Natur sie verraten. Das Kneifen ihrer besten Schuhe an den Zehen und den Fersen schien sie irgendwie in der Wirklichkeit zu verankern, der Schmerz ein nicht zu ignorierender Fixpunkt, der sie zwang, weiterzugehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Das rege Treiben in den Straßen von Knightsbridge war eine Erleichterung nach der beinahe unerträglichen Schönheit des Parks, und dann hatte sie bereits die Cromwell Road erreicht. Ihre Schritte verlangsamten sich noch weiter.Vor dem Naturkundemuseum verließ sie plötzlich der Mut, und sie blieb stehen. Doch der Gedanke, wieder nach Hause zu gehen und weiter zu warten, war schlimmer als alles andere, und so ging sie langsam weiter, vorbei an der U-Bahn-Station South Kensington und über die Brompton Road, und dann hatte sie Lucan Place erreicht, und es gab kein Zurück mehr.
    Erika atmete tief durch und betrat mit kerzengeradem Rücken den Eingangsbereich der Polizeiwache. Der Beamte an dem kleinen Schalter blickte

Weitere Kostenlose Bücher