Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
»nach einer Krankheit«, wie es in der Todesanzeige hieß.
»Kurz und schmerzlos«, kommentierte Melody laut. Offensichtlich hatte Amanda Bentley ihren Zweck erfüllt, denn Josiah Miller hatte nicht wieder geheiratet, wenngleich es hier und da Berichte über Affären mit Damen der feinen Gesellschaft gab.
In den frühen Siebzigerjahren erschienen die ersten Fotos von Ellen Ann Miller auf High-Society-Partys. Melody pfiff durch die Zähne. Schon mit knapp zwanzig war Ellen Miller eine umwerfende Erscheinung gewesen. Nicht unbedingt eine Schönheit, aber mit einer Ausstrahlung, der es weder an Aggressivität noch an Erotik mangelte.
Und dann, es war im Jahr 1978, lächelte Ellen Miller von
einem Foto unter der Überschrift Highlife im Roxy , und neben ihrem Namen stand der des attraktiven, dunkelhaarigen jungen Mannes, der den Arm um ihre Schulter gelegt hatte. Harry Pevensey.
»Dieser andere Mann – auf die gleiche Weise ermordet wie das Mädchen?«, fragte Erika, als Gemma geendet hatte. »Und Joseph Müllers Enkel hat sich erhängt? Mein Gott, das muss endlich aufhören.«
»Also, könnte es vielleicht so gewesen sein, dass Joseph Müller die Brosche behalten hatte, weil er fürchtete, jemand könnte sie identifizieren, oder auch nur, weil er gerne Dinge aufhob, die ihn an seine Grausamkeiten erinnerten?«, sann Gemma laut nach. »Und als Dom dringend Geld brauchte und seine Mutter sich weigerte, ihm zu helfen, nahm Dom die Brosche an sich und bot sie zum Verkauf an.« Sie fragte sich allerdings, ob er sie wirklich zufällig gefunden hatte. »Und dann, als ich Kristin sagte, dass Sie Anspruch auf die Brosche erhoben hätten, erzählte sie es Dom, und der geriet in Panik.«
»Selbst wenn er nicht gewusst haben sollte, wie sie in den Besitz seiner Familie gelangt war«, pflichtete Erika ihr bei, »konnte er es sich nicht leisten, damit in Verbindung gebracht zu werden.«
»Die Bedienung in dem Club, in dem Dom mit Kristin verabredet war, sagte aus, die beiden hätten sich an dem Abend gestritten«, fuhr Gemma fort. »Wenn er sie aufgefordert hat, die Brosche aus derVersteigerung zu nehmen und ihm zurückzugeben, und sie darauf erwiderte, dass sie das nicht könne – oder wolle -, dann muss ihn die Verzweiflung gepackt haben. Aber mir ist immer noch nicht klar, wie er auf die Schnelle ein Auto besorgt haben soll, um rechtzeitig in Chelsea zu sein und sie abzupassen, als sie nach Hause kam.«
»Und dieser andere Mann, dieser Harry …«
»Pevensey. Ein verkrachter Schauspieler. Dom hat ihn benutzt, um seinen eigenen Namen aus dem Geschäft herauszuhalten. Er hat sich nach allen Seiten abge…«
»Und Sie denken also ernsthaft, dass dieser junge Mann, der so skrupellos töten konnte, sich das Leben genommen hat, weil er mit der Schuld nicht zurechtkam?« Erika schüttelte den Kopf. »Es fällt mir schwer, das zu glauben. Ein Selbstmord ist die Tat eines gänzlich anderen Charaktertyps.«
»Vielleicht war es nicht Schuldbewusstsein, sondern Verzweiflung – falls er vorhatte, Sie gestern Abend zu überfahren, und sein Plan misslang …« Gemma schauderte, nicht nur wegen der Vorstellung, dass Erika der tödlichen Gefahr so haarscharf entronnen war, sondern auch, weil sie möglicherweise Kit einer ähnlichen Gefahr ausgesetzt hatte, als sie ihn zu Erika geschickt hatte.
Erika stellte ihre Tasse mit leisem Klirren auf der Untertasse ab. »Ich glaube, Sie irren sich, Gemma.Wenn er gestern Abend keinen Erfolg hatte, warum sollte er es dann nicht noch einmal versuchen? Und woher soll er gewusst haben, dass es seine Familie belasten würde, wenn ich die Brosche wiedererkannte? Selbst wenn es gelungen wäre, die Transaktion bis zu ihm zurückzuverfolgen, hätte er doch einfach behaupten können, er habe die Brosche bei einer Auktion oder bei einem Antiquitätenhändler erstanden?«
Gemma sah sie nachdenklich an und versuchte alles, was sie in Erfahrung gebracht hatten, zu einem stimmigen Ganzen zusammenzusetzen. »Es sei denn, Joss Miller hätte Davids Manuskript behalten«, sagte sie gedehnt, »in dem David alles enthüllte …«
»Glauben Sie wirklich, der junge Mann hätte die Brosche zur Versteigerung angeboten, wenn er ihre Geschichte gekannt hätte – wenn er gewusst hätte, wie sein Großvater in ihren Besitz gelangt war?« Erika zog ungläubig die feinen Augenbrauen hoch.
Gemma dachte an Dominic Scott, wie sie ihn bei ihrem ersten
Besuch erlebt hatten – bleich, schwitzend, so fertig mit den
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