Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
dem Boden zusammensank. Der arme Junge war wirklich in Kristin Cahill vernarrt gewesen, dachte Kincaid mit einem Anflug von Mitleid, und er dürfte bei ihr nicht den Hauch einer Chance gehabt haben. Aber das machte ihn als Verdächtigen nur umso interessanter.
Oliver richtete sich auf, ließ von seinem Hund ab und hockte sich auf die Kante eines Stuhls mit geschwungenen Armlehnen aus glänzend poliertem Holz. Möbeldesign war nicht gerade Kincaids Stärke, aber er vermutete, dass der Stuhl ein Original war und eine schöne Stange Geld gekostet hatte. »Jetzt wird er uns nicht mehr stören«, sagte Oliver mit einem Blick auf den Hund. »Wenn er mal schläft, kann ihn so leicht nichts wecken.« Wie zur Bestätigung begann Mo zu schnarchen, während sein
Besitzer Gemma stirnrunzelnd ansah. »Ich verstehe nicht ganz. Was haben Sie gestern im Auktionshaus gemacht, und warum wollen Sie mit mir über Kristin reden?«
»Mr. Oliver«, sagte Gemma, »sind Sie sicher, dass Mr. Khan ihr die Szene erst gemacht hat, nachdem ich gegangen war?«
Seine Miene verfinsterte sich. »Nun ja, vor... vor dieser ganzen Sache … da dachte ich, es könnte vielleicht wegen der Rosen sein. Die sind gekommen, kurz nachdem Sie gegangen waren.«
»Mrs. March sagte mir, dass jemand ihr Rosen geschickt habe. Aber das waren nicht Sie?«
»Machen Sie Witze?« Sein Lachen klang bitter. »Ich habe ja schon Mühe, die Miete für diese Bruchbude aufzubringen. Solche Blumen könnte ich mir nie im Leben leisten.«
Alles eine Frage der Prioritäten, dachte Kincaid – offenbar konnte Oliver sich von seinem Hungerlohn sehr wohl edle Möbel und eine Sammlung klassischer LPs leisten.
»Wissen Sie denn, wer die Blumen geschickt hat?«, fragte Gemma.
Giles schüttelte schmallippig den Kopf. »Nein.«
Kincaid übernahm das Fragen und schlug gleich einen neuen Kurs ein. »Hat Miss Cahill mit Ihnen über die Brosche gesprochen?«
»Über welche Brosche?« Giles Olivers Blick ging von Kincaid zu Gemma.
»Die Diamantbrosche von Jakob Goldshtein«, antwortete Gemma.
»Ach, die. Kristin hat Mr. Khan geholfen, sie zu katalogisieren. Das ist ihr Job.« Giles wirkte ehrlich verwirrt.
»Sie hat Ihnen nicht erzählt, dass sie eine Einführungsprovision bekommen würde?«
»Kristin? Wie soll Kristin denn an so etwas rangekommen sein?«
»Wir dachten, dass Sie uns das vielleicht sagen könnten. Dass Miss Cahill vielleicht mit Ihnen darüber gesprochen haben könnte.« Gemma beugte sich vor, wie um ihn aufzufordern, sich ihr anzuvertrauen.
Er errötete, wobei hässliche Flecken sich wie ein Ausschlag über seinen Hals ausbreiteten. »Nein. Sie hat mir kein Wort darüber gesagt.«
»Und als Sie sie gestern Abend anriefen?«, fragte Kincaid, der die Gelegenheit ergriff, den »bösen Bullen« zu spielen. Bei seinem scharfen Ton hob der Hund den Kopf und gab ein leises Grollen von sich, und Kincaid fiel plötzlich ein, dass er irgendwo gelesen hatte, Mastiffs hätten einen besonders ausgeprägten Beschützerinstinkt.
Aber Giles Oliver schien die Unruhe seines Hundes gar nicht wahrzunehmen. »Was?«, sagte er nur und starrte die beiden an, doch die Flecken auf seiner Haut verdunkelten sich.
»Wir haben mit ihrer Mutter gesprochen«, sagte Gemma. »Was haben Sie von Miss Cahill gewollt?«
»Ich – Ich wollte nur … Ich dachte, sie wollte vielleicht mit jemandem darüber reden, wie Khan mit ihr umspringt.«
»Sie haben sie gefragt, ob sie mit Ihnen ausgehen wollte?«
»Nein, nicht direkt. Ich dachte, sie wollte vielleicht vorbeikommen. Ein paar Platten hören, den Abend ausklingen lassen und so. Aber...« Er blickte sich in der Wohnung um, als sähe er sie mit ihren Augen. »Ich hätt’s mir denken können, nicht wahr?«
»Dass sie nein sagen würde?«
»Sie hat gesagt, sie hätte schon was vor«, entgegnete er rasch, wie um noch einen Rest Stolz zu retten. »Sie wäre verabredet. Im Gate. Deswegen könnte sie nicht vorbeikommen.«
»Das Gate in Notting Hill?«, fragte Kincaid stirnrunzelnd. Das Gate war der Nachtclub unter dem gleichnamigen Kino, einem der Wahrzeichen von Notting Hill.
»Ja. Glaub ich jedenfalls. Ich geh nicht in solche Lokale. Die Getränke kann ich mir nicht leisten, und ich mache sowieso lieber meine eigene Musik.« Er deutete auf die LP-Sammlung und den Plattenspieler.
»Hat sie gesagt, mit wem sie verabredet war?«
»Nein.Vielleicht mit demselben Typen, der ihr die Rosen geschickt hat. Sie hat mit irgendjemandem auf ihrem Handy
Weitere Kostenlose Bücher