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Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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ihm zu treffen? Sie haben Doms Foto, und außerdem würde ich gerne Ihren Eindruck von der Zeugenbefragung hören.« Ein wenig zögernd setzte sie hinzu: »Ich würde Sie ja nicht darum bitten, aber ich muss ins Krankenhaus, und Duncan muss nach Hause zu den Kindern …«
    »Aber klar doch«, antwortete Melody rasch, doch sie wusste nicht recht, ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte, weil Gemma ihre Meinung hören wollte, oder verärgert, weil sie sich den Job mit Doug Cullen teilen musste. Sie sah auf ihre Uhr – es war schon nach sieben. »Dann sollte ich wohl gleich losfahren, oder?«
    »Cullen ist schon vom Yard aus unterwegs zum Club.«
    Vielleicht könnte sie noch vor ihm dort sein, dachte Melody, wenn sie die Beine in die Hand nähme.Aber bevor Gemma auflegte, sagte Melody noch: »Übrigens, Chefin, wegen Ihrer Mutter … Ich …« Dann kam ihr plötzlich alles, was sie hatte sagen wollen, vollkommen trivial und sinnlos vor, und sie brach ab.
    Doch es lag ein Lächeln in Gemmas Stimme, als sie antwortete: »Ja, alles klar. Danke.«
     
    Als Gemma im St. Barts ankam, war die Besuchszeit schon um, und sie musste den Stationspfleger bearbeiten, damit er sie zu ihrer Mutter ließ. Sie entschuldigte sich damit, dass sie durch dringende Polizeiangelegenheiten aufgehalten worden sei – was ja im Grunde auch nicht gelogen war. Das Gute an ihrer Verspätung war, dass ihre Schwester und ihr Vater schon gegangen waren und sie ihre Mutter wach und munter antraf, froh über die Gesellschaft.
    »Hallo, Liebes«, sagte Vi, als Gemma sie auf die Wange küsste. »Wie geht’s dir?«

    »Das sollte ich eher dich fragen.« Mit zerknirschter Miene rückte Gemma einen Stuhl dicht ans Bett. »Es tut mir leid, Mum. Aber wir haben da gerade einen Fall …«
    Vi lächelte sie voller Wärme im Blick an. »So ist es doch immer.«
    »Na, ist ja auch nicht so wichtig.Wie war denn dein Tag? Ich habe zuletzt heute Morgen mit Cyn geredet. Haben sie noch mehr Untersuchungen mit dir gemacht?«
    »Ach, das ist doch alles Unfug.« Vi klang genervt – schon fast wieder so, wie Gemma sie kannte. »Aber dieser Doktor ist ein richtiger Tyrann, und er sagt, ich muss morgen schon mit der Therapie anfangen.«
    So schnell? Gemmas Herz krampfte sich zusammen. »Chemotherapie?«, fragte sie und gab sich dabei Mühe, möglichst sachlich zu klingen.
    »Das soll ja heutzutage gar nicht mehr so schlimm sein«, meinte Vi mit eisernem Optimismus. »Und ich will viel lieber hören, wie dein Tag war, anstatt immer nur von mir zu reden. Erzähl mir von deinem Fall.«
    Und Gemma tat ihr den Gefallen. Sie machte es sich auf ihrem Stuhl bequem und fing ganz vorne an, mit Erikas Bitte an Gemma, dem plötzlichen Wiederauftauchen ihrer verschwundenen Brosche nachzugehen, um schließlich mit ihrer Vernehmung von Dominic Scott an diesem Abend zu enden.
    Als sie fertig war, hatte ihre Mutter die Augen geschlossen, und sie war so lange still, dass Gemma schon glaubte, sie sei eingeschlafen. Sie wollte gerade nach ihrer Handtasche greifen, als ihre Mutter leise sagte: »Es muss sehr schwer gewesen sein für deine Freundin Erika, damals im Krieg. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das war während der Bombenangriffe. Man wusste nie, ob man die Nacht überstehen würde. Aber wir waren wie eine große Familie, die ganze Nachbarschaft, und jeder hat sich um jeden gekümmert.Wenn man niemanden hatte …«

    Gemma lehnte sich verblüfft zurück. Ihre Mutter sprach sonst nie über den Krieg.
    »Für uns Kinder war es natürlich leichter«, fuhr Vi fort, die Augen noch immer geschlossen. »Kinder gewöhnen sich an alles. Nach einer Weile haben wir völlig vergessen, dass es je anders gewesen war.« Sie schlug die Augen auf und lächelte Gemma an. »Richtige kleine Wilde waren wir. Jeden Morgen sind wir aufgestanden und gleich losgerannt, um zu sehen, was in der Nacht alles getroffen worden war. Und wir haben uns daran gewöhnt, dass Menschen einfach aus unserem Leben verschwanden.
    Kinder sind schon merkwürdige Geschöpfe – wie Bonbons: außen hart und innen weich. Erst viel später haben wir die wirkliche Tragweite erfasst, als die Erinnerungen uns allmählich einholten.«
    »Das habe ich ja alles gar nicht gewusst.« Gemma nahm die Hand ihrer Mutter und strich mit dem Daumen über die zarte Haut zwischen Vis Daumen und Zeigefinger. Sie fühlte sich dünn und fragil an.
    »Oh, das solltest du auch gar nicht. Ich weiß auch nicht, warum ich plötzlich davon anfange.

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