Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
Obwohl... Ich habe heute über Kit nachgedacht.« Vi erwiderte Gemmas Blick. »Er macht sich sicher Sorgen um mich.«
»Ja«, gab Gemma zu. »Das tut er.«
Ihre Mutter griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Es fällt dir schwer, nicht wahr? – Kit zu sagen, dass du ihn liebst.«
»Ich...« Völlig überrumpelt starrte Gemma ihre Mutter an. »Ich … Ich will nicht … Er soll niemals denken, dass ich versuche …«
»Kit wird nicht denken, dass du versuchst, den Platz seiner Mutter einzunehmen«, sagte Vi mit überraschender Heftigkeit. »Das habt ihr längst hinter euch gelassen. Er liebt dich, und er braucht die Gewissheit, dass du nicht auch plötzlich aus seinem Leben verschwindest.«
Erst als Melody vor dem Eingang des Nachtclubs am Notting Hill Gate stand, begann sie über ihre Aufmachung nachzudenken. Die Straße lag im Schatten, da die untergehende Sonne schon hinter den Häusern im Westen verschwunden war. Die Verstärker unten in der Disco erfüllten die ganze Treppe mit Musik und ließen sie in pulsierenden Wellen auf die Straße hinausquellen, und die Handvoll junger Mädchen, die an Melody vorbei zur Tür hineinschlüpften, sahen in ihren Jeans und farbenfrohen Tops aus wie bunte Schmetterlinge.
Melody blickte kritisch an ihrem Kostüm hinunter – heute war es anthrazitfarben, mit einem Rock, der äußerst gewagte zwei Zentimeter Oberschenkel sehen ließ. Immerhin waren ihre Beine nackt – für eine Strumpfhose war es einfach zu warm gewesen -, und sie waren auch durchaus vorzeigbar, aber sie würde dennoch so fehl am Platz wirken wie ein Eisbär am Äquator. Das war eine Situation, in der ihre übliche Tarnkleidung sich als Nachteil erwies, und sie stellte fest, dass es ihr mehr ausmachte, als sie geglaubt hätte.
»Ach, verflucht«, murmelte sie und streifte ihre Jacke ab. Sie zog ihre weiße Bluse aus dem Rock und öffnete den zweiten Knopf, dann auch noch den dritten, um sich schließlich mit der Hand kräftig durchs Haar zu fahren. Nachdem sie ihr sonst so sorgfältig gepflegtes Erscheinungsbild ein wenig durcheinandergebracht hatte, musste sie über ihre eigene Albernheit grinsen. »Als ob das jetzt noch was bringt«, sagte sie laut.
»Seit wann führst du denn Selbstgespräche?«, sagte eine Stimme in ihrem Rücken.
Melody fuhr zusammen, stieß einen Fluch aus und drehte sich um. Da stand Doug Cullen und betrachtete sie grinsend. »Ich habe bloß … ach, ist doch egal«, sagte sie. »Man schleicht sich aber auch nicht von hinten an die Leute an.«
»Und man legt auch nicht in aller Öffentlichkeit einen Strip hin, wenn man nicht will, dass die Leute zugucken.«
Melody lief rot an, ebenso wütend auf sich selbst wie auf ihn. »Es ist warm, und da unten wird es noch wärmer sein.«
»Du wolltest mir zuvorkommen, hab ich recht?«, fragte Cullen und musterte sie kritisch.
»Du mir etwa nicht?«, konterte sie.
»Hätte ich ja gar nicht gekonnt«, entgegnete er gelassen. »Du hast schließlich das Foto von Dominic Scott.«
Irgendwie machte sie das noch wütender, anstatt sie zu besänftigen. Mit zusammengebissenen Zähnen stieß sie hervor: »Na schön. Bringen wir’s hinter uns«, und begann die Stufen hinunterzugehen.
Doch sie musste gleich feststellen, dass die Treppe sehr steil war und nicht dafür gedacht, dass man in High Heels hinunterstürmte. Sie war gezwungen, ihren Schritt zu verlangsamen und vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen, und dabei spürte sie die ganze Zeit Doug Cullens Blicke im Rücken und kam sich so ungeschickt vor wie das Schulmädchen, das sie einmal gewesen war.
Als sie aber unten in der Disco ankam, überlagerten das Stampfen der Musik und das wabernde bläuliche Licht alle anderen Wahrnehmungen. Obwohl es noch recht früh war, war die Tanzfläche schon gerammelt voll. Melody musste sich verrenken und ganz dünn machen, um sich einen Weg durch das Gedränge bahnen zu können.
Nachdem es ihr gelungen war, sich noch vor Cullen bis zur Theke vorzukämpfen, lächelte sie die Bedienung an, ein hübsches Mädchen, dessen skandinavisch blondes Haar zu einem dicken Zopf geflochten war. Melody sah ihr zu, wie sie mit anmutigen, fast tänzerischen Bewegungen einen Cocktail mixte, schüttelte und einschenkte.
Sobald sie dem wartenden Gast das pinkfarbene Getränk serviert hatte, wandte sie sich Melody zu. »Was darf’s sein?«, fragte sie. Ihr Akzent war so englisch wie Melodys eigener.
»Wir hätten nur ein paar Fragen, wenn’s recht ist.«
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