Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
»Constantius hat genügend Soldaten in Thrakien, auch wenn sein Hauptheer in Asien ist. Es ist verrückt zu glauben, dass er Philippopolis so einfach hergibt.«
Der Zauber und der optimistische Tatendrang, den ich auf dem Gipfel empfunden hatte, verließen mich. Stattdessen beschlich mich etwas, das ich nicht benennen konnte. Mir fiel ein, was Marcellus einmal über Nevitta gesagt hatte: Dieser Mann vernichtet Träume.
»Vielleicht hast du recht, Nevitta«, erwiderte ich vorsichtig. »Vielleicht ist es verrückt. Doch wir haben Illyrien eingenommen und jetzt auch den Pass. Auch da hätte man vorher sagen können, dass es verrückt ist, und dennoch stehen wir jetzt hier.«
Ich wandte mich ab und löste die Schnallen am Geschirr in der Hoffnung, er würde fortgehen. Stattdessen trat er einen Schritt näher. Dicht neben mir sagte er mit gesenkter Stimme: »Julian hört auf dich. Er nennt dich seinen Freund.« Er verlieh dem Wort einen hässlichen Klang.
Ich hielt inne und schaute finster auf den Lederriemen in meiner Hand. »Wir alle sind seine Freunde, oder nicht, Nevitta?«
Er lachte kalt. »Du weißt genau, was ich meine. Manche sagen, es sei Zeit, Constantius erneut herauszufordern, andere meinen, dass wir nicht gewinnen können.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mich beobachtete und auf ein Zeichen der Zustimmung oder Komplizenschaft wartete. Ich merkte, dass mir vor Wut die Hände zitterten. Ich ließ das Zaumzeug los und drehte mich um.
»Ich werde Julian nicht zu etwas überreden, von dem ich nicht überzeugt bin«, sagte ich mit so harter Stimme, wie ich sie ihm gegenüber noch nie angeschlagen hatte. »Lass diese Leute selbst mit ihm sprechen. Warum tun sie es eigentlich nicht? Schämen sie sich? Oder sind sie nur feige?«
Er schnappte nach Luft. Meine Antwort war deutlich genug, sogar für ihn. Es gab weniges, was diesen eitlen Rohling mehr beleidigt hätte.
Ich kehrte ihm den Rücken zu und tätschelte mein Pferd, um mich zu beruhigen.
Es war niemand in der Nähe. Vermutlich wusste er das genau, denn er war gerissen wie ein Straßendieb. Wollte er mich aushorchen oder prüfen? Wie auch immer, er konnte es nachher mühelos abstreiten.
Er trat noch einen Schritt näher.
»Pass auf dich auf, Drusus«, raunte er mir ins Ohr, so nah, dass ich seinen warmen Atem spürte. »Hier gibt es keine Feiglinge.«
Mehr sagte er nicht. Er hatte nicht bekommen, was er gewollt hatte. Nachdem er noch einen Moment lang drohend bei mir stand, zog er brummend ab.
Als er fort war, dachte ich nach. Ich bereute nicht, was ich gesagt hatte. Aber ich hatte mich von meiner Wut überwältigen lassen, und ich hatte seine Verstellung aufgedeckt.
Es war zu spät, um in diesem Jahr noch über das Gebirge nach Thrakien zu marschieren. Julian ließ eine starke Garnison am Succi-Pass zurück und begab sich für den Winter nach Naïssus. Dort machte er sich daran, an die Städte des Reiches zu schreiben und sich für sein Vorgehen gegen Constantius zu rechtfertigen. Er gab sich große Mühe mit den Formulierungen, da er glaubte, die Städte würden ihn unterstützen, sobald sie die Wahrheit kannten. Weder Eutherius noch Oribasius waren überrascht, als keine oder nur ausweichende Antworten kamen. Der römische Senat schrieb sogar, Julian solle dem Mann, dem er so viel zu verdanken habe, mehr Respekt entgegenbringen.
»Und was meinen sie, wie viel Respekt ich dem Mörder meines Vaters entgegenbringen soll? Oder haben sie das vergessen?«, fragte Julian.
Eutherius verdrehte die Augen, blickte an die gewölbte, mit Lapislazuli verzierte Decke und sagte: »Ach, der Senat! Unter dem Deckmantel von Prinzipien liegt reiner Eigennutz. Sie glauben, sie könnten sich mit ihrem zahnlosen Biss bei Constantius einschmeicheln. Aber wenn Aquileia fällt, werden dieSenatoren über ihre eigenen Füße stürzen wie eine Herde verschreckter Schafe, weil sie gar nicht hastig genug zu dir überlaufen können.«
»Solche Freunde nützen mir nichts! Wo ist ihre altberühmte Würde? Wo ist die Achtung vor ihrem Amt, die Achtung vor den bedeutenden Männern, in deren Fußstapfen sie laufen?«
»Vergangen, mein lieber Julian, alles vergangen. Angst und Speichelleckerei verändern die Menschen. Ihre Würde ist seit Langem dahin. Sie sind Kriecher, die den Boden küssen, auf dem der Kaiser wandelt.«
Doch eine Stadt sicherte ihre Unterstützung zu – sein geliebtes Athen, und das machte alles andere wett.
Den Winter über befasste er sich mit
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