Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
einem grauen, windstillen Nachmittag, als ich in der Scheune Heuballen stapelte, hörte ich Stimmenlärm von den Feldern. Ich fragte die Knechte, was los sei, und sie riefen mir zu, dass endlich das Heer des Cäsars nahte.
An jenem Tag war Marcellus mit Clodia und deren Vater zum Markt gefahren. Ich sprang vom Heustapel und eilte nach draußen, um mit den anderen auf die Zisterne zu klettern. Schon waren auf den grasigen Hängen jenseits des Flusses die Reiter mit ihren roten Tuniken zu sehen, die an der Mauer des Kastells entlangzogen. Ihnen folgten die Kohorten der Fußsoldaten mit ihren rot-goldenen Drachenkopfschilden. Sieschwenkten ab und teilten ihre Formation, um durch das Tor des Kastells zu marschieren. Getragen von der stillen Winterluft, drangen ab und zu die Klänge ihres Marschliedes zu uns herüber, voller Kraft und Stolz. Ich spürte, wie es mein Herz bewegte. Diese Männer hatten die germanischen Barbaren besiegt, die geglaubt hatten, sie könnten nach Belieben diesseits des Rheins ihre Raubzüge unternehmen. Diesmal aber hatten sie sich eine blutige Nase geholt und waren in ihre endlosen Wälder zurückgejagt worden, wo sie sich eines Besseren besinnen konnten. Warum also sollten diese Männer nicht stolz sein? Sie hatten es sich verdient. Und der junge Gelehrte Julian war offenbar nicht so ein Narr, wie der Präfekt behauptete; wie sonst hätte er trotz seiner Unerfahrenheit siegen und den Stolz dieser Männer wiederherstellen können?
Wir alle spähten angestrengt hinüber und hofften, den jungen Cäsar zu erkennen. Doch aus dieser Entfernung sahen alle Reiter gleich aus; keiner stach in Gold oder Weiß oder Purpur hervor. Vielleicht ritt der Cäsar ja mit einer anderen Truppe, denn das Heer verteilte sich auf verschiedene Winterquartiere.
Nachdem ich zu meiner Arbeit an den Heuballen zurückgekehrt war, keimte Ungeduld in mir auf. Ich wollte bei den Soldaten auf dem Hügel sein und tun, was wirklich wichtig war, anstatt auf dem Land eines Bauern Weinstöcke zu schneiden und Steine zu schleppen. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte ich an meinen Vater und war froh, dass er nicht sehen konnte, was aus mir und meinem Leben geworden war.
Ich muss gestehen, dass es noch etwas anderes gab, das an mir nagte, auch wenn ich mich schäme, davon zu erzählen. Denn dazu muss ich von Liebe und meinen Schwächen reden.
Ziemlich schnell fiel mir auf, dass Clodia mich nicht leiden konnte. Sie war schlank, braunäugig und hübsch, wäre da nicht dieser harte Zug um den Mund gewesen, der sich immer dann einstellte, wenn sie sich unbeobachtet glaubte. Durchtriebenheit ist mir von jeher zuwider gewesen. Immer häufiger bemerkte ich, wie Clodia eine heitere, sorglose Art vortäuschte, sobald Marcellus in der Nähe war, ihre Maske jedoch sofort fallen ließ, nachdem er gegangen war. Für mich machte sie sich nicht diese Mühe.
Zwar achtete ich sehr darauf, stets höflich zu sein, aber vielleicht nahm sie mit dem Gespür der Jägerin trotzdem wahr, was ich von ihr hielt. Was Marcellus in ihr sah, werde ich nie verstehen. Sicherlich unterschied sie sich durch ihre Körperlichkeit und ungehobelten Manieren von den behüteten, hochgeborenen künftigen Bräuten, die Marcellus in London gekannt und die seine Mutter ihm hatte aufdrängen wollen. Jedenfalls bot sie ein gutes Schauspiel dar, wie mir schien, und es wäre meiner Ansicht nach kleingeistig und schäbig gewesen, dies Marcellus zu sagen.
Wann immer er für ihren Vater in der Stadt etwas zu besorgen hatte oder mit dem Maultierkarren auf die Felder fahren musste, fand Clodia einen Vorwand, ihn zu begleiten. Und ich, der das alles sah und sich schämte, dass er es überhaupt bemerkte, fand Gründe, sich anderswo zu beschäftigen. Clodias Annäherungen waren linkisch und plump; mal führte sie wie unbeabsichtigt eine längere Berührung herbei, mal gewährte sie einen scheinbar zufälligen Einblick in ihren Ausschnitt oder schaute Marcellus ein bisschen zu lange lächelnd in die Augen, wobei das Lächeln erstarb, wenn sie meinen Blick bemerkte. Ich ertappte mich bei der Frage, ob sie es miteinander taten. Wenn ja, erwähnte Marcellus es nicht, und ich fragte ihn nicht danach.
So kam es, dass ich seit der Ankunft des Heeres Gründe fand, allein auszugehen. Ich wanderte die Feldwege entlang oder streifte ziellos durch die Stadt, wie früher, als ich noch im Haus meines Onkels in London gewohnt hatte. Ich verfiel in dumpfes Brüten und verstand mich selbst nicht
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