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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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mehr – oder wollte nicht verstehen.
    An einem späten Winternachmittag gelangte ich bei einemmeiner Spaziergänge zu dem Flecken oberhalb des Flusses, wo der Jupitertempel auf seinem hohen Unterbau aus Quadersteinen steht.
    Das Licht des sterbenden Tages ging bereits in eine bleierne Dämmerung über. Eine Zeit lang saß ich am Sockelrand, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und beobachtete müßig die Wirbel und Strömungen auf dem Wasser. Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß, in aufgewühlten Gedanken verloren. Schließlich sah ich am anderen Flussufer die ersten Lampen aufleuchten.
    Ich erhob mich und ging zu den Tempelstufen. Unter dem Vordach sah ich, dass einer der bronzenen Türflügel einen Spaltbreit offen stand, während er zuvor geschlossen gewesen war. Zögernd spähte ich hindurch. Drinnen war es noch düsterer. Doch im Innern des Tempels schien sich nichts Bedrohliches aufzuhalten, und da ich es nicht eilig hatte, zum Gehöft zurückzukehren, beschloss ich, hineinzugehen und mir den Tempel anzusehen. So schob ich mich durch den Türspalt.
    Die Luft war kühl und still. Es roch nach feuchtem Stein und erkaltetem Weihrauch. Ich gab acht, wohin ich trat, denn überall lagen trockenes Laub und Steinsplitter. Schließlich blieb ich stehen, um meine Augen an das Zwielicht zu gewöhnen. Und dann erblickte ich an der entfernten Wand auf einem Thron aus rotem Granit die Gottheit, eine gewaltige, bärtige Statue von vierfacher Mannshöhe. Das mächtige Gesicht war zerschmettert worden, ebenso eine der marmornen Hände. Sie lag zwischen den Blättern am Fuß des Standbilds, die der Wind ins Innere geweht hatte. Auch der Fries am Sockel war von Schlägen gezeichnet und mit Symbolen der Christen beschmiert.
    Seit London hatte ich keinen städtischen Tempel mehr betreten, nachdem ich einmal überfallen und beinahe getötet worden war. Mir kamen wieder Marcellus’ Worte in den Sinn, wonach es unvernünftig sei, allein in einen Tempel zu gehen, nachdem die Christen dazu übergegangen waren, einen Menschen lieber zu töten, als ihm seinen alten Glauben zu lassen. Doch jetzt fühlte ich mich erneut von irgendetwas Altem, Zeitlosem angezogen. Ich fühlte, ich musste an diesem Tag und zu dieser Stunde hier sein, auch wenn ich nicht hätte sagen können, warum das so war.
    Ich hob die Hände und sprach ein Gebet in der überkommenen Formel, die ich einmal Aquinus hatte sprechen hören, ein vornehmes, förmliches altes Latein. Danach kniete ich nieder, fegte die Blätter von der abgeschlagenen Marmorhand und hob sie auf. Es erforderte meine ganze Kraft, aber ich legte sie auf den Sockel dem Gott zu Füßen, gewissermaßen als Opfer.
    Mein Kraftakt war nicht vollkommen lautlos vonstatten gegangen. Nun aber, da wieder tiefe Stille herrschte, hatte ich plötzlich den Eindruck, dass jemand mich beobachtete, obwohl ich beim Hereinkommen niemanden gesehen hatte. Ich hielt den Atem an und horchte, während es mir im Nacken kribbelte.
    Ich hörte ein kurzes Rascheln, gerade so, als hätte sich ein trockenes Blatt verschoben. Ich fuhr herum. Zwanzig Schritte entfernt stand in der Düsternis vor dem Portal ein Mann und musterte mich.
    »Wer bist du?«, rief ich zornig und verängstigt zugleich.
    Der Mann machte einen Schritt auf mich zu. Dabei sah ich, dass er stämmig und breitschultrig war und den kraftvollen Gang eines Legionärs oder eines Bauern hatte. Unwillkürlich griff ich an meinen Gürtel. Ich hatte kein Schwert bei mir, aber ein altes Jagdmesser, das ich auf dem Gehöft gefunden und gesäubert hatte. Ich schloss die Finger um das abgegriffene Heft aus Birkenholz.
    »Verzeih«, sagte der Mann und blieb stehen, wo er war, »ich wollte dich nicht erschrecken.« Seine Stimme war freundlich, und sein Latein hatte den rhythmischen Schwung des Ostens. Er drehte sich um und sprach ein paar rasche Worte auf Griechisch. Ich hörte Bewegung; dann kam ein Mann von schmaler,feingliedriger Gestalt aus dem Dunkeln hervor und trat in das graue Licht, das durch den Türspalt fiel.
    Ich behielt beide Männer vorsichtig und sprungbereit im Auge. Der Stämmige hob langsam die Hände, um zu zeigen, dass er keine Waffe trug. »Wir wollen nichts Böses«, sagte er.
    »Was wollt ihr dann?«, fragte ich.
    Sie kamen näher und schauten zu dem thronenden Jupiter hinauf. Jetzt konnte ich erkennen, dass der stämmige Mann sich seit ein paar Tagen nicht rasiert hatte, und seine Haare waren nachlässig und ungleichmäßig geschnitten. Offenbar

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