Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
gerötet, und er wirkte aufgewühlt. Doch es war etwas anderes, das mich stutzen ließ. Ich drehte mich um und ahnte schon, was ich sehen würde. Außerhalb des Lichtscheins der Glut hatte die Bauerntochter es sich auf der Liege bequem gemacht. Auf einen Ellbogen gestützt lag sie da und betrachtete mich. In ihren Augen spiegelte sich der rote Scheinaus dem Ofen. Dann richtete sie sich auf und warf zornig ihre Haare zurück. Ihr Kleid war an der Schulter geöffnet und ließ die Brust sehen, auf die sie so stolz war. Wenigstens war sie noch bekleidet, denn mir dämmerte mit einem Mal, in was ich hineingeplatzt war.
Mit kalter Stimme sagte sie: »Du störst. Hast du vergessen, wie man anklopft?«
Ich spürte, wie ich errötete; zugleich stieg Wut in mir auf. »Ich bitte um Vergebung, Clodia, aber ich wusste nicht, dass du hier bist, und es ist dunkel. Aber keine Angst, ich gehe.«
Ich hatte bereits nach dem zweiten Hocker gegriffen, um mich neben Marcellus zu setzen, und hielt ihn noch in der Hand. Als ich ihn abstellte, packte Marcellus mein Handgelenk. »Nein, Drusus, bleib. Es friert draußen.«
Ich zögerte kurz, da in seiner Stimme irgendetwas mitschwang – keine zornige Enttäuschung, wie ich erwartet hätte, sondern Melancholie. Ich musterte ihn forschend, doch in dem schummrigen Licht entging ihm meine stumme Frage. Hinter mir hörte ich Clodia ungeduldig Luft holen. Mein Magen zog sich zusammen, und ich fragte mich: Was sieht sie in mir? Einen Rivalen? Was, bei allen Göttern, hatte Marcellus ihr erzählt? Es drängte mich, ihn danach zu fragen, doch ich hielt meine Zunge im Zaum. Lieber wäre ich gestorben, als Clodia mein nacktes Herz zu zeigen.
Ungestümer als beabsichtigt zog ich meinen Arm weg, denn ich wollte allein sein, wollte weg von den beiden. Marcellus rief mir hinterher, aber ich war schon an der Tür und floh in die Nacht hinaus.
Erst zwischen den schwarzen Stämmen der Apfelbäume hielt ich an. Während ich gegen Grasbüschel trat und meinen Verstand zusammenklaubte, kam eine der Hündinnen des Bauern angelaufen. Ich hockte mich nieder und kraulte ihr die Ohren. Dann ging ich weiter, flankte über die niedrige Mauer und folgte dem Karrenweg zwischen den Feldern.
Marcellus hatte recht: Es fror, und in meiner Hast hatte ich meinen Mantel liegen lassen. Nun, auch dafür ist es jetzt zu spät, dachte ich sarkastisch. Ich rieb mir die Arme und ging weiter. Am Himmel standen lange silberne Wolkenstreifen, angestrahlt von einem verborgenen Mond. Der Wind hatte sich gelegt, und knackiger Frost setzte ein. Ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, gelangte ich bald darauf in die Flussauen. Ein Nebelteppich hatte sich auf das Land gelegt, der sich vor mir teilte und mir um die Beine waberte.
Einige Zeit später erreichte ich einen kleinen grasbewachsenen Hügel, eine Stelle, die ich kannte. In dieser hellen Nacht erhob er sich wie eine leuchtende Insel aus einem Nebelmeer. Ich stapfte hinauf, setzte mich trotz der bitteren Kälte hin und blickte auf die fernen Lichter der Stadt und der Zitadelle.
Ich sagte mir, das Mädchen sei nicht wichtig, aber mein Herz widersprach. Dieser eigentlich unbedeutende Vorfall zeigte mir, dass ich nicht Herr meiner selbst war, und das bekümmerte mich sehr. Ich schüttelte den Kopf und versuchte nachzudenken, wollte meine Gedanken auf heitere, unbeschwerte Dinge richten. Doch wie ein Bergsteiger, der sich in den bewaldeten Vorbergen verlaufen hat und plötzlich durch die Wipfel den sonnenbeschienenen Gipfel strahlen sieht, erkannte ich, dass hier eine Wahrheit lag, der ich mich stellen musste.
Lange Zeit saß ich da, zwischen Vernunft und Verlangen hin und her gerissen, sprach mit mir selbst oder richtete laute Vorwürfe an den Mond. Und tatsächlich schien es mir, als gäbe Luna mir zur Antwort: Warum beklagst du dich? Ich habe dir den Weg gezeigt, Drusus. Nun ist es an dir, ihm zu folgen. Beherrsche deine Wünsche, oder sie beherrschen dich. Erst dann wirst du dich selbst kennen. Das ist die Freiheit, die Gott dir gegeben hat. Wenn du es nicht willst, ein anderer kann es nicht.
Ich besann mich darauf, was ich im Innersten wusste: Dass man von einem anderen Menschen nicht Besitz ergreifen darf, sonst stirbt einem in den Händen, wonach man sich sehnt.Die Liebe muss frei sein, oder es ist keine Liebe, sondern etwas Niedrigeres. Und Verlangen, das nicht von Vernunft beherrscht wird, ist wie ein Feuer, das verzehrt und erlischt.
Und so saß ich allein unter der
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