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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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meiner Bettdecke.
    Das Mädchen blieb, pflegte Marcellus, saß den ganzen Tag bei ihm und stimmte hin und wieder einen leisen Singsang fremder, beschwörender Worte an. In der folgenden Nachtschlief sie wie ein Wachhund auf einer Matte am Fuß seines Bettes.
    Fünf Tage lang schwebte Marcellus zwischen Leben und Tod, und das Mädchen blieb bei ihm. An einem Tag ging ich zu einem Händler im Lager, um einen Hahn zu kaufen. In der Nacht opferte ich ihn Luna und der Großen Mutter, ohne dass es mich kümmerte, wer mich dabei sehen und anschwärzen könnte. Julian kam zu einem Krankenbesuch. Er sprach von den Göttern und vom Schicksal, aber mir war nicht nach Philosophie zumute, und so ging er bald und schärfte mir ein, ich solle mich an ihn wenden, falls ich etwas brauchte. Später kam ein Brief von Oribasius, der sich in Paris aufhielt, mit ausführlichen Anweisungen an den Arzt. Offenbar hatte Julian einen Boten geschickt.
    In der Nacht, in der ich Luna opferte, kam das Mädchen zu mir ins Bett.
    Zunächst schlich ich mit dem Hahn in einem Weidenkorb bei Dunkelheit hinaus zu einem abgelegenen, bewaldeten Felsen, von dem man über den Fluss blicken konnte, wo der Wind in den Erlen flüsterte und es nach feuchter Erde roch. Als ich zurückkam, war die Lampe im Fenster erloschen, und das Mädchen lag schlafend auf der Matte. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Noch voller innerer Unruhe nach der Opferung lag ich im Dunkeln wach.
    Bald hörte ich das Mädchen rascheln, und als ich den Kopf drehte, sah ich ihre Silhouette im Mondlicht. Still hob sie meine Bettdecke an und legte sich wortlos zu mir. Sie duftete nach Lavendel, nach Zedernöl und nach Marcellus.
    Jedes Soldatenlager hat Kurtisanen. Sie folgen dem Heer von Ort zu Ort, zusammen mit den Weinhändlern, Wahrsagern, Hufschmieden, Schustern und anderen Gewerbetreibenden, die die menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Es gab Frauen von einiger Eleganz mit Schminke im Gesicht und städtischen Manieren, die in geschlossenen Wagen mit seidener Ausstattung reisten; es gab raue, ungepflegte Weiber mit derber Wortwahl und lückenhaftem Gebiss – und viele andere dazwischen. Ich hegte eine tiefe Abneigung gegen das, was diese Frauen anboten, obwohl ich es mir nicht erklären konnte, und sie – mit ihrem scharfen Gespür für einträgliche Kunden – ließen mich bald in Ruhe.
    Doch dieses Barbarenmädchen, dessen Name ich nicht kannte, überrumpelte mich. Sie ließ mir keine Zeit zu überlegen, und inmitten meiner Trauer war ihre Berührung wie die Wärme des Feuers im Winter. Was sie gab, gab sie willig und mit echter Lust. Ich spürte ihren Stolz, als gehörte er zu ihrem Körper; es war ein Stolz um des Stolzes willen, eine Begegnung von Gleichen.
    Später lag sie ganz nah bei mir und zeichnete mit den Fingerspitzen die harten Konturen meiner Brust nach. Ich döste dabei ein und träumte von heiteren Szenen aus meiner Kindheit, von der Jägerin Diana mit ihren Hunden und von meiner Mutter, die ich nie gekannt habe.
    Am nächsten Morgen, als ich vom Badehaus zurückkam, entfuhr mir ein freudiger Aufschrei, denn Marcellus saß aufrecht in seinen Kissen. Das Mädchen flößte ihm löffelweise Hühnerbrühe ein. Sie drehte sich lächelnd zu mir um, und ich rannte los, um den Arzt zu suchen.

SECHSTES KAPITEL

    Nachdem die Rheingrenze gesichert war, kehrten wir für den Winter nach Paris zurück. Im darauffolgenden Frühling schickte der Kaiser einen neuen Heermeister als Ersatz für Severus. Er hieß Lupicinus.
    Julian hatte auf seine stille Art den Tod des freimütigen Severus betrauert, der mit ihm geflucht und gestritten hatte, aber nie falsch gewesen war. Ob man mit ihm einverstanden war oder nicht, man wusste immer, woran man bei ihm war, und wenn er eine andere Ansicht vertrat, sagte er das klar und deutlich.
    Nicht so Lupicinus. Er hatte sich im Heer des Ostens einen Namen gemacht und war mit seinem Haushalt von Illyricum in das elegante Konstantinopel gezogen, um dort die gebührende Beachtung zu finden. Er hatte harte, selbstsichere Züge, sprach aber auf verhüllende, gekünstelte Art, sodass man immer mit dem Eindruck dastand, nicht so recht zu erfassen, was er hatte sagen wollen – was wohl genau seine Absicht war, denn das ermöglichte ihm jederzeit, eine Mitverantwortung zu leugnen, wenn etwas fehlschlug.
    Da Marcellus der Reiterei angehörte, verbrachte er gezwungenermaßen mehr Zeit mit Lupicinus als ich. Schon am ersten Tag, als er ihm mit anderen

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