Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Paulus entkommen sei und sich das Vertrauen des höchst ehrenwerten Cäsar Julian erschlichen habe. Nun sei es seine Pflicht, ihn zu warnen. Es folgte eine Auflistung von Verbrechen, die ich begangen haben sollte – Mord, Abfall vom Glauben, Verrat, Sittenlosigkeit –, alle mit Einzelheiten. Ich zwang mich, sie bis zum Ende zu lesen. Dann blickte ich auf.
Ich wusste, dass ich rot geworden war. »Glaubst du ihm?«,fragte ich. Meine Stimme klang angespannt und steif. Schon vor einiger Zeit hatte ich Julian wahrheitsgemäß erzählt, was in Britannien geschehen war; aber das war nichts gegen das Lügengespinst des Bischofs.
Zu meiner Überraschung lachte Julian.
»Natürlich nicht. Ich habe dir den Brief zu lesen gegeben, damit du siehst, zu welchen Mitteln sie greifen.«
Ich sah ihn mit großen Augen an, denn ich verstand nicht.
»Es wundert mich nicht, dass der Bischof in deiner Gegenwart so unruhig war. Er war gekommen, um über dich zu lästern. Und das konnte er schlecht, solange du danebenstandest – jedenfalls nicht dieser Bischof. Er ist im Grunde ein freundlicher Mann, auch wenn er das Werkzeug eines anderen ist.«
Ich holte tief Luft und fragte, was der Bischof gesagt hatte.
»Ach, die üblichen Floskeln. Dass er nur seine Pflicht tue, der Familie des Kaisers die Treue schulde und dergleichen. Wenn jemand so anfängt, weiß man immer gleich, dass etwas im Busch ist. Ich erwiderte, dass Pulcher falsch unterrichtet sei und er solle nicht weiter daran denken. Der arme Mann steckt zu tief drin, er weiß es nur nicht.« Er drehte sich um. »Ah, da kommt Eutherius. Ich habe ihn gebeten, sich zu uns zu gesellen.«
Ich drehte mich ebenfalls um. Eutherius kam unter der Kolonnade hervor und tappte mit seinen rehledernen Pantoffeln vorsichtig über die nassen, vom Regen herabgefallenen Pflaumenblüten. »Meine lieben Freunde«, sagte er lächelnd, schaute prüfend über die nasse Steinbank, auf der wir saßen, schürzte die Lippen und beschloss, stehen zu bleiben.
»Sieh dir das an«, sagte Julian und reichte ihm den Brief.
Eutherius las. Dann warf er das Schreiben beiseite, wobei sich Belustigung und Verachtung in seiner Miene spiegelten.
»Dilettantisch! Eine plumpe Widerwärtigkeit. Genau der niederträchtige Unfug, bei dem Constantius aufblüht, nur dassdieser Unsinn so offenkundig ist, dass er niemanden täuscht. Also wirklich, können sie es nicht besser? Außerdem dachte ich, der Bischof von Paris sei mehr mit der Armenspeisung beschäftigt.«
»So ist es. Der alte Mann wurde lediglich angestiftet.«
»Von Bischof Pulcher«, sagte ich.
»Oh nein«, widersprach Eutherius und lächelte mich ob meiner Naivität freundlich an. »Dein Londoner Bischof ist auch nur ein Werkzeug.«
Ich blickte auf den Brief wie auf ein bissiges Tier. Mir schien, dass Pulcher sich einige Mühe gemacht hatte. Er hatte ein paar Körnchen Wahrheit mit abscheulichen Lügen verflochten. Mir war, als würde ich in den Spiegel schauen und ein hässlich verzerrtes Bild meiner selbst erblicken.
»Sei versichert, dass schon vor längerer Zeit jemand dein Leben ausgeforscht hat. Es dürfte bei Gericht eine Akte über dich geben. Aber lass dich davon nicht beunruhigen, Drusus. Schließlich bist du ein Freund Julians.«
Der Wind fuhr in die Pflaumenbäume und schüttelte die Tropfen von den Zweigen. Mir lief ein kaltes Rinnsal den Rücken hinunter. Schaudernd dachte ich an vergifteten Wein und Dolche in der Nacht. Dann wurde mir bewusst, dass Julian schon sein Leben lang mit solchen Ängsten zurechtkommen musste.
Ich blickte auf. Julian schaute mich an. »Vor ein paar Tagen erzählte mir Oribasius, dass jemand in seinen Zimmern gewesen sei«, sagte er. »Es wurde nichts gestohlen, aber seine heilkundlichen Bücher waren durchwühlt. Die Täter hatten sich keine Mühe gegeben, ihr Eindringen zu verbergen – ein Buch lag offen da, ein Stuhl war verrückt, das Tintenfass war umgekippt und solche Dinge.«
»Aber warum? Was haben sie gesucht?«
»Nichts«, erklärte Eutherius. »Es war nur eine Drohung.«
»Zuerst Salutius, dann Oribasius«, sagte Julian. »Und jetztdu. Florentius will mich damit warnen, ihm nicht in die Quere zu kommen.« Er erhob sich und ging auf den nassen, blütenübersäten Steinplatten auf und ab. »Er will, dass ich die Anklage fallen lasse. Sag mir«, fragte er zu Eutherius gewandt, »ziemt es sich für einen Mann, der die Philosophie liebt, einem Unrecht tatenlos zuzusehen?«
»Auf diese Frage brauchst
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