Wen die Goetter strafen
Sie das?«
Der Botschafter lehnte sich zurück. »Laut Gesetz darf kein Mitglied der Duma – das ist das Parlament – wegen einer Straftat verfolgt werden. Was darauf hinausläuft, dass in der Duma lauter Leute sitzen, die alles Mögliche auf dem Kerbholz haben – teils sind es ehemalige Sträflinge, teils Gauner, die weiterhin ihren kriminellen Machenschaften frönen. Keiner von ihnen kann belangt werden.«
»Das ist ja unglaublich«, versetzte Dana.
»Ja. Die Menschen in Russland sind wunderbar, aber ihre Regierung... Nun gut, womit kann ich Ihnen dienen, Miss Evans?«
»Ich möchte Ihnen ein paar Fragen über Taylor Winthrop stellen. Ich arbeite an einer Reportage über seine Familie.«
Botschafter Hardy schüttelte bekümmert den Kopf. »Es kommt einem vor wie eine griechische Tragödie, nicht wahr?«
»Ja.«
Schon wieder diese Formulierung.
Botschafter Hardy musterte Dana neugierig. »Diese Geschichte ist doch schon zig Male abgehandelt worden. Meiner Meinung nach gibt es dazu nichts mehr zu sagen.«
»Ich möchte vor allem auf seine Persönlichkeit eingehen. Ich möchte wissen, wie Taylor Winthrop wirklich war, was für ein Mensch er war, was für Freunde er hier hatte, ob er irgendwelche Feinde hatte...«
»Feinde?« Er blickte erstaunt auf. »Keine. Jeder mochte Taylor. Er war vermutlich der beste Botschafter, den wir hier jemals hatten.«
»Haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?«
»Ja. Ich war ein Jahr lang sein Stellvertreter.«
»Botschafter Hardy, wissen Sie, ob Taylor Winthrop hier mit irgendetwas beschäftigt war, bei dem –« Sie stockte, wusste nicht genau, wie sie es ausdrücken sollte »– viele Einzelheiten zu regeln waren?«
Botschafter Hardy runzelte die Stirn. »Beziehen Sie sich dabei auf etwas Geschäftliches, oder meinen Sie ein Abkommen auf Regierungsebene?«
»Das weiß ich nicht genau«, räumte Dana ein.
Botschafter Hardy dachte einen Moment lang nach. »Ich auch nicht. Nein, ich habe keine Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte.«
»Gibt es unter dem derzeitigen Botschaftspersonal jemanden«, sagte Dana, »der auch für ihn tätig war?«
»O ja. Lee zum Beispiel, meine Sekretärin. Sie war auch Taylors Sekretärin.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit ihr spreche?«
»Ganz und gar nicht. Ich stelle Ihnen sogar eine Liste mit einigen Leuten zusammen, die Ihnen eventuell weiterhelfen könnten.«
»Das wäre wunderbar. Vielen Dank.«
Er erhob sich. »Seien Sie vorsichtig, solange Sie sich hier aufhalten, Miss Evans. Es gibt allerhand Straßenkriminalität.«
»Das habe ich schon gehört.«
»Trinken Sie kein Leitungswasser. Nicht mal die Russen rühren es an. Oh, und wenn Sie auswärts essen, müssen Sie ausdrücklich auf einem
tschisti stol
bestehen – das heißt so viel wie reiner Tisch –, sonst finden Sie an Ihrem Platz lauter teure Vorspeisen vor, die Sie nicht wollen. Wenn Sie sich etwas kaufen wollen, halten Sie sich am besten ans Arbat. In den Läden dort gibt es so gut wie alles. Und seien Sie mit den hiesigen Taxis vorsichtig. Nehmen Sie die älteren, zerschrammten. Die Schwindler und Betrüger fahren meistens Neuwagen.«
»Vielen Dank.« Dana lächelte. »Ich werd's mir merken.«
Fünf Minuten später sprach Dana mit Lee Hopkins, der Sekretärin des Botschafters. Sie waren allein in einem kleinen Zimmer und hatten die Tür geschlossen.
»Wie lange waren Sie für Botschafter Winthrop tätig?«
»Achtzehn Monate. Was möchten Sie denn wissen?«
»Hat sich Botschafter Winthrop irgendwelche Feinde gemacht, als er hier war?«
Lee Hopkins schaute Dana verwundert an. »Feinde?«
»Ja. Wenn man so einen Posten innehat, wäre es doch denkbar, dass man auch mal zu jemandem nein sagen muss, der einem das vielleicht übel nimmt. Botschafter Winthrop konnte doch bestimmt nicht jeden Wunsch erfüllen.«
Lee Hopkins schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Miss Evans, aber wenn Sie vorhaben, etwas Schlechtes über Taylor Winthrop zu veröffentlichen, sind Sie bei mir an die falsche Person geraten. Er war der freundlichste, rücksichtsvollste Mensch, den ich je kennen gelernt habe.«
Da wären wir wieder,
dachte Dana.
In den nächsten zwei Stunden sprach Dana mit vier weiteren Leuten, die während Taylor Winthrops Amtszeit in der Botschaft tätig gewesen waren.
Er war ein hinreißender Mann...
Er mochte die Menschen wirklich...
Er hat sich eigens dafür eingesetzt, uns zu helfen...
Feinde? Doch nicht Taylor
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