Wen die schwarze Göttin ruft
blaue Augen. Herrliche blaue Augen.«
Das steinerne Gesicht bewegte sich nicht. Sie hat eine unheimliche Selbstbeherrschung, dachte er. Aber vor fünfzehn Jahren muß sie diese einmal verloren haben. Es gibt zwar schwarze Schafe unter weißen Lämmern, aber es gibt nie blaue Augen unter farbigen Menschen, wenn nicht irgendwann einmal jemand sich eine dunkle Rasse ausgesucht hat – mit seinen blauen Augen.
»Sie sollen ein Bein operieren, keine Augen!« sagte Sikinika kalt. »Dombono hat recht. Sie sind lebensgefährlich neugierig.«
»Erstaunlich! Man kann also doch mithören.«
»Ich höre und sehe alles.«
»Das ist das Vorrecht der Götter. Mir als Arzt aber müssen Sie zugestehen, daß ich weiß, daß Ihr Sohn auf normale Art gezeugt und auf normale Weise von Ihnen geboren wurde. Er ist kein Tropfen Sonne, wie man ihn vielleicht einmal mit seinen blonden Haaren vor dem Volk bezeichnen wird!«
»Was wollen Sie?« fragte Sikinika herrisch.
Jetzt bewegte sich ihr Mund, die Maske löste sich auf. Sogar ihre Finger bekamen Leben und begannen, über ihr goldgesticktes Kleid zu laufen. Sie ist nervös, dachte er. Göttin, du bist auch nur eine Frau wie jede andere.
»Mehr von Ihnen erfahren.«
»Sie erfahren gar nichts!« Ihre Finger wurden immer unruhiger, ihre Augen, von einer Farbe zwischen grün und schwarz, je nachdem, wie das Licht darauf fiel, blitzten ihn wütend an.
Überzieh es nicht, sagte er sich. Du hast dich schon sehr weit vorgewagt. Morgen wird sie gesprächiger sein. Jeden Tag ein bißchen mehr. Sie wird auftauen unter der Glut ihrer Angst um ihren Sohn. Denn operieren kann ich nicht sofort; ich muß erst sehen, was Stricker hier unter ›Krankenhaus‹ versteht, unter welchen Bedingungen ich arbeiten muß, wie groß das Risiko präoperabler Komplikationen ist. Ich werde Dombono ganz schön ins Schwitzen bringen. Vielleicht muß er sein ganzes ›Krankenhaus‹ umstellen.
»Bleibt es bei dem Angebot der völligen Freiheit aller Gefangenen, wenn die Operation gelingt?« fragt er schließlich.
»Ich breche nie mein Wort!« sagte Sikinika stolz.
»Rückkehr in unsere Welt?«
»Ja.«
»Für alle?«
»Für alle.« Sikinika blickte ihn starr an. Jetzt sind ihre Augen grün, stellte er fest. Grün wie aus Türkis. »Sie lieben die blonde Frau?«
»Sie ist meine Verlobte. Sie sollten ihr ewig dankbar sein, denn ohne sie wäre ich jetzt nicht hier. Und niemand hätte Ihren Sohn operiert.« Er wagte es, bis an die Stufen des Podestes zu treten. Er wußte nicht, ob unsichtbare Augen ihn beobachteten. Aber niemand hielt ihn zurück. Er sah Sikinika jetzt aus der Nähe und war erneut fasziniert. Die Ebenmäßigkeit ihres Gesichtes war vollkommen. Ihre Blicke kreuzten sich und prallten wie Klingen aufeinander.
Wie ein glühender Schlag traf ihn die Erkenntnis. Er hielt Sikinikas Blick nicht aus. Er senkte den Kopf und biß sich auf die Unterlippe. Bloß das nicht, dachte er erschrocken. Königin, Göttin, Mutter, heimliche Geliebte, was du auch bist. Das ist Wahnsinn! Ich stehe hier nur als Arzt, als nichts anderes! Ich liebe Veronika und werde mich gegen alles wehren, was diese Liebe zerstören könnte.
Sikinika, es hat keinen Sinn! Verdammt, ich kenne diese Blicke! Eine Frau kann mit den Augen küssen, sie kann sich mit einem Blick hingeben. Sikinika, das ist Wahnsinn!
»Ich habe noch eine Bedingung!« sagte er bewußt hart und unpersönlich. Er wußte, daß er jetzt der Frau, nicht der Göttin weh tat. Und er tat es mit voller Überlegung. »Ich verlange die sofortige Herunternahme der Käfige von der Mauer. Ich operiere nicht, solange die Käfige dort hängen!«
Durch Sikinikas Körper lief ein schnelles Zucken – die einzige Reaktion, daß diese Worte sie getroffen hatten. Sie verstand ihn genau. Er hatte sich für Veronika entschieden. Und plötzlich haßte sie diese blonde Frau, wie sie einmal vor fünfzehn Jahren …
Ihre Augen wurden dunkel. Es war, als ob der menschliche Glanz erlosch, und zurück blieb nur die große Pose einer Statue.
»Nein!« sagte sie kalt.
»Der Regengott wird sich über die Herzen freuen …«
»Ich lasse die Männer herunterholen. Die Frau bleibt hängen.«
»Das habe ich mir gedacht.« Er wandte sich ab. Seine Stimme hallte in dem weiten Saal, als er die weiteren Worte mit dem Rücken zu Sikinika sprach. »Wer wird dem Jungen beibringen, daß er weiterhin hinken und Schmerzen ertragen muß, nur weil seine Mutter eine andere Frau mehr haßt, als sie ihren
Weitere Kostenlose Bücher