Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
Vom Netzwerk:
des bräunlichen Wassers glitten zwei Barsche vorbei. Kleinere Fische stoben davon. Eine Königslibelle sprang elegant über die Wellen.
    Ich rannte durch den Mais-Korridor zu unserem Versteck; große grüne Stängel streiften meine Schultern. Nervös biss ich auf meine Lippe – würde Trick da sein oder nicht?
    »Iris«, sagte er und stützte sich auf die Ellenbogen.
    »Hey.« Ein Prickeln der Erleichterung durchströmte mich. Ich ließ mich zu Boden fallen, schlug die Beine übereinander und zog eine Flasche Limo, die außen feucht angelaufen war, aus dem Rucksack. Auf dem Rückweg von Matty hatte ich sie von dem Geld gekauft, das Dad mir für Pommes mitgegeben hatte. Die Flasche hatte die ganze Nacht im Kühlschrank gestanden. Jetzt öffnete ich sie mit einem Zischen, nahm einen großen Schluck und gab sie an Trick weiter.
    Der Mais um uns herum flüsterte und rauschte; ich drehte mich auf die Seite, stützte den Kopf auf die Hand und dachte an all die Insekten, die um uns herum tranken und knabberten.
    »Wo warst du gestern?«, fragte er.
    »Ich musste zu meiner dämlichen Freundin«, entschuldigte ich mich. »Bin gleich danach hergekommen, aber da warst du schon weg.«
    Er gab mir die Limo zurück.
    »Hattest du schon mal einen Freund, der dir das Gefühl gegeben hat, ein Volltrottel zu sein?«
    Trick ließ sich wieder auf den Rücken sinken und gab keine Antwort.
    »Bist du sauer?«, fragte ich und setzte zu einer Erklärung an, dass ich überhaupt nicht zu Matty hatte gehen wollen, aber er schüttelte nur den Kopf.
    Mein Blick glitt über unsere Zehen hinweg durch den Gang im Maisfeld und fiel auf die Stängel, die von unten wie riesige Bambusrohre aussahen, und auf die verschiedenen Grüntöne um uns herum. Er sagte immer noch nichts, also fragte ich ihn, ob er wie geplant schwimmen gegangen war.
    »Nö«, sagte er. »Hatte keine Lust.«
    Er entspannte sich und rutschte in seine übliche Position – Flipflops abgestreift, Hände hinter dem Kopf verschränkt –, aber irgendetwas war heute anders als sonst, und nach einer Weile wurde mir auch klar, was: Er wippte andauernd mit den Zehen, als würde ihn etwas jucken. Normalerweise lag er reglos wie eine Eidechse in der Sonne.
    Ich fragte ihn, ob alles okay war, und er nickte – aber ich wusste, dass das nicht stimmte.
    »Es ist wegen Dad …«, sagte er schließlich. Er setzte sich auf, schlang die Arme um die Knie und starrte gedankenverloren auf ein Büschel Jakobskraut vor seinen Zehen. »Er hat herausgefunden, dass ich nicht …«
    Er sog an seiner Oberlippe – auf dem Feld war es so still, dass ich das leise Schmatzen an seinem Gaumen hören konnte.
    »Was?«
    Er blickte mich an, dann wieder das Jakobskraut. »Er hat herausgefunden, dass ich nicht zur Schule gegangen bin.«
    Ich war verwirrt. Natürlich war er nicht zur Schule gegangen – es waren ja Sommerferien.
    »Genauer gesagt hat er herausgefunden, dass ich von der Schule geflogen bin.«
    »Oh«, murmelte ich. »Aber du hast doch gesagt –«
    »Ich weiß«, unterbrach er mich und erwiderte endlich meinen Blick.
    »Hör zu, es war so …«
    Ich zupfte an einem Maiskolben, denn mein Herz hämmerte wie wild gegen meine Brust und ich brauchte eine Beschäftigung für meine Hände, um richtig zuhören zu können.
    »Eigentlich hat sich Dad nie groß darum gekümmert, ob ich zur Schule gehe oder nicht. Er wollte immer, dass ich mit ihm arbeite, seiner Meinung nach ist die Schule irgendwann sowieso reine Zeitverschwendung.«
    Der Mais in meinen schwitzigen Händen fühlte sich kalt und fremd an. Trick wirkte angespannt und abwehrend – ganz anders als sonst – und ich überlegte, ob es an dem lag, was er sagen wollte, oder ob er log.
    »Eine Zeit lang ging alles gut«, sagte er. »Eine halbe Ewigkeit lang. Alles normal. Die Leute ließen mich in Ruhe, manche waren sogar nett zu mir. Ich mochte es. In den Pausen konnte ich mit den Jungs kicken, das war auch okay. Aber dann hat einer aus meinem Jahrgang eins auf die Rübe gekriegt. Zigeuner, hat er gesagt, und plötzlich tat er so, als wäre ich’s gewesen. Matt Dunbar. Ein großer, blonder, sportlicher Mistkerl. Er und seine Kumpel haben angefangen, mir in der Pause hinterherzurufen – sie wollten mich provozieren, damit ich mich auf einen Kampf einlasse.«
    Zehntklässler machten das ständig mit Jüngeren, aber es fiel mir schwer, mir ausgerechnet Trick als ihr Opfer vorzustellen.
    »Irgendwann bin ich sauer geworden, weil er andauernd sagte,

Weitere Kostenlose Bücher