Wen liebst du, wenn ich tot bin?
nichts fürchten, was in dem schwarzen Wasser gar nicht so leicht war. Und erst als wir fast schon so kalt wie der See waren, kletterten wir ins Boot zurück. Die Sommerluft trocknete uns, während ich auf die Insel zuruderte.
Eine Entenfamilie stieß Warnrufe aus, als wir näher kamen, und gleich darauf klatschte etwas ins Wasser. Ich steuerte mit den Rudern längsseits der Insel, wo die Weiden ein Dach über unseren Köpfen bildeten.
Trick setzte sich neben mich und stupste mich mit der Schulter an.
»Weißt du, du bist das tollste Mädchen, das ich kenne, Iris. Ehrenwort. Du kannst einfach alles.«
Mein Herz überschlug sich wie ein Feuerrad, und ich hätte ihm gerne gesagt, dass er der tollste Junge war, den ich kenne, und dass ich mir wünschte, er könnte für immer auf unserer Koppel bleiben, und dass ich ihn am liebsten berührt und meinen Arm um ihn gelegt hätte, aber ich brachte es einfach nicht fertig. Ich saß nur da und lauschte auf meinen Pulsschlag und auf die Geräusche der Nacht und wartete, bis sich allmählich kein Lüftchen mehr regte und das Kribbeln in meinem Bauch nachließ und es sich nicht mehr anfühlte, als würden Fledermäuse sich austoben.
Irgendwo über uns nisteten Amseln. Ich hörte ihren Warnruf und blickte hoch.
»Woran denkst du?«, fragte Trick. Seine Stimme klang dunkel und sanft.
»Amseln«, sagte ich automatisch. »Hör mal.«
Ich hob den Finger, als hätte ich schon die ganze Zeit auf die Amseln gelauscht und als würde mich nichts brennender interessieren. Ich dachte an Dad, wie er beim Abendessen in einem Buch über Wildpflanzen blätterte, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, und an Mum, wie sie in ihrem himmelblauen Kombi allem, was wirklich zählte, davongefahren war, und plötzlich drängte mich mein Körper dazu, etwas zu tun, womit mein Verstand noch nicht einverstanden war.
Ich drehte den Kopf zu ihm und er wartete schon auf mich. Seine Augen waren immer noch grau, obwohl ich sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte, und die Iris seiner Augen fransten immer noch aus, und er roch nach Zigaretten und Kaugummi und Fritten, und es war einfach unbeschreiblich schön, und als ich meinen Mund auf seinen drückte und ihn küsste, war es, als hätte ich schon immer gewusst, wie man küsst, und ich begriff, wie dumm, wie unglaublich dumm es gewesen war, mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Neunzehn
I ch ging durch die Küche ins Haus zurück. Dads Zimmer lag über meinem, und ich wollte nicht riskieren, dass er mitbekam, wie ich durch das Fenster kletterte. Im Haus war es noch dunkler als draußen, aber als ich mich leise hineinschlich, hörte ich jemanden. Erschrocken riss ich die Augen auf. Am Küchentisch saß Dad. Mein Herz tobte wie ein wildes Tier.
Dad würde aufstehen, das Licht einschalten und mich anbrüllen – aber nichts davon geschah.
Denn es war Sam. Er saß da und hatte den Kopf in die Hände gestützt.
»Was ist los?«, flüsterte ich.
»Verpiss dich«, murmelte er, aber er klang nicht ärgerlich.
Er schniefte und presste beide Handflächen gegen die Augen.
Ich setzte mich neben ihn, auf Dads Stuhl.
»Was ist passiert?«
Er rieb sich die Augen und holte tief Luft. Ich knipste die Lampe neben dem Telefon an.
Von seiner Nase bis zur Lippe verlief eine dünne, angetrocknete Blutspur. Beide Nasenflügel waren blutverkrustet. Sein linkes Auge schwoll immer mehr zu.
Ich füllte eine Schüssel mit warmem Wasser und stellte sie auf den Tisch. Die Geschirrtücher waren schmutzig und rochen schlecht, deshalb machte ich lieber den Saum meines T-Shirts nass.
»Sei vorsichtig«, sagte Sam, als ich sein Gesicht abtupfte.
»Psst. Sonst kommt Dad runter.« Ich wrang mein T-Shirt über der Schüssel aus; das Wasser färbte sich rötlich. So behutsam wie möglich machte ich weiter.
»Mit wem hast du dich diesmal geprügelt?«
Sam schüttelte den Kopf. Es war still im Raum, bis auf das in die Schüssel tropfende Wasser.
»Fast hätte ich sie gekriegt«, sagte Sam nach einer Weile.
»Sieht so aus.«
»Du hast sie nicht gesehen. Sie waren zu zweit. Sie waren viel größer als ich.«
Im Wohnzimmer drehte sich Fiasco von einer Seite auf die andere und schnaufte durch die Nase.
»Du musst dich nicht immer prügeln, weißt du.«
»Hat das dein Freund gesagt?«
Ich starrte ihn an.
»Wenn er das behauptet, ist er ein Lügner.«
Ich hörte auf, sein Gesicht abzuwaschen, und trug die Schüssel zum Spülbecken.
»Warst du bei ihm?«, fragte
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